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Kultur: Apodiktisch und konspirativ

„Tell“ als Hörspielkino im URANIA-Planetarium

„Tell“ als Hörspielkino im URANIA-Planetarium Das Werk der Eidgenossen ist vollendet, Tyrann und Landvogt Geßler von Tells Hand gefallen, als er diese „hohle Gasse“ passierte, alle Burgen geschleift, die Häscher vertrieben. Sturmglocken läuten überall im Land. Das war zwar nicht ganz im Sinne des Erfinders, aber eine den Zeiten aufgehender Sonne geschuldeter Lesart, mit der Rundfunkregisseur Gerhard W. Menzel eine historische Hörspielproduktion von 1950 enden ließ. In Schillers originalem „Wilhelm Tell“ (1804) geht ja die Geschichte noch ein wenig weiter, aber dem Produzenten genügte sein eigener ruhm- und siegreicher Schluss. Sehr zum Leidwesen eines kritischen Anonymus, welchem die tendenzielle Verstümmelung („klassisches Drama, schwach gedünstet, dann halbiert und diese Hälfte noch zu einem Drittel ausgedünnt“) äußerst missfiel. Zu Unrecht? Dies konnte prüfen, wer am frühen Mittwoch-Nachmittag zum Planetarium im Neuen Garten schritt. Mit diesem Hörstück eröffnete die Potsdamer URANIA gemeinsam mit der Stadt- und Landesbibliothek nebst dazugehöriger Bibliotheksgesellschaft und dem Deutschen Rundfunkarchiv (Zweigstelle Babelsberg) die neue Veranstaltungsreihe „Hörkino unter den Sternen“, wobei sich der visuelle Effekt allein auf die langsamen Bewegungen des simulierten Himmels reduzierte. In regelmäßigen Abständen wird man, vor allem wegen der Tantiemenlage, „bekannte Autoren, berühmte Sprecher oder interessante Stoffe aus der DDR-Hörspielproduktion“ vorstellen. In diesem Falle gehörten der unvergessene Wolf Kaiser (Geßler) und Martin Flörchinger (Melchthal) dazu, ohne die spätere Sprach-Qualität eines Kurt Böwe oder Eberhard Esche zu erreichen. Der Kürze halber ein paar Anmerkungen: Für ein 90-minütiges Hörspiel drehte sich das Firmament doch etwas zu gleichförmig, so dass die Veranstalter wohl oder übel mit Ermüdungstendenzen ihres Publikums rechnen mussten, gerade hier, wo so apodiktisch gedräut und moralisch rein konspiriert worden war. Zweitens gehört zu einem historisch-ideologischen Werk die kritische Einführung. Wünschenswert wäre das im Schiller-Jahr allemal, gerade weil der Autor mit seinem abstrakten „Freiheitsdenken“ einer Chimäre nachläuft, in deren Namen man noch heute Kriege führt, Aufstände jedweder Art begründet, sogar den Tyrannenmord fordert um der „Gerechtigkeit“ willen. Man sollte nach diesem egalisierenden Propagandawerk darüber sprechen können, was aus der Freiheit wird, wenn die Siegesglocken schweigen. „Lieber Tod als Knechtschaft“ ist so schnell gesagt beim „einzig Volk von Brüdern“. Gibt es besseren Gesprächsstoff für die Gegenwart? Gerold Paul

Gerold Paul

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