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Kultur: Augenlieder

Sudarshana Kumar führt in der fabrik in indischen Tempeltanz ein

Sudarshana Kumar ist für eine Kostprobe in die fabrik gekommen, in die Räume auf dem Ruinenberg. Ab Januar wird er hier Tanzunterricht geben, und dabei ein Stück Kultur seiner Heimat nach Potsdam bringen. Er wirft sein langes Baumwollhemd über, streift die Schuhe ab. Bevor er anfängt, gilt es, noch etwas zu erledigen. Er muss noch die Mutter Erde begrüßen. Ein Ritual, das zu seinem Tanz gehört. Der Tänzer stellt sich auf, ganz locker, die Beine leicht gespreizt, und stampft langsam, dann immer schneller mit seinen nackten Füßen auf den Dielen. Und wuchtig kracht der Rhythmus im indischen 32-stel Takt durch den Raum, wie laute Trommelschläge auf gespannter Haut. Sudarshana Kumar verneigt sich.

Erst dann geht es richtig los. Mit der Grundhaltung, bei der er die Füße ganz nach außen dreht und mit geradem Oberkörper in die Knie geht. Dann die kunstvolle Kür: die Figuren, die er mit den Händen darstellt, die Geschichte, die er zu Musik mit der Sprache seines Körpers erzählt: Der Tag beginnt, eine Blume blüht auf, ein Mann umarmt eine Frau. Der südindische Tempeltanz Bharatanatyam ist so etwas wie Filmbilder zu Musik. Oder ein Lied für die Augen. Sudarshana Kumar braucht keine glänzenden Kleider, um in diesen wackeligen Stellungen graziös auszusehen.

Bis zu sieben Jahre nimmt sich ein Inder Zeit, um den Tanz, der zu Ehren des Gottes Shiva zelebriert wird, zu lernen. Erst das Taktschlagen mit den Füßen, dann die Hände, Gesicht und Körper. Eins nach dem Anderen.

In Potsdam denkt man da in anderen Zeitmaßstäben. Wenn Sudarshana Kumar hier unterrichtet, wird er seine Europaversion anbieten. Bharatanatyam im Schnellverfahren. Füße, Beine, Hände, alles wird zusammen trainiert. Und man muss auch nicht jahrelang dabei sein, um endlich die symbolischen Figuren zu lernen, die man mit dem gesamten Körper darstellt, Blumen, Bäume, König, Kaiser, Blitz und Wasserfall. Die baut der Lehrer von Anfang an ein. „Die Europäer wollen früher die Früchte ihrer Arbeit sehen“, sagt er.

Sobald die indische Musik aus der kleinen Anlage durch den Raum hallt, strömt eine konzentrierte Spannung durch seinen Körper. Er könnte sicher auch sehr gut einen Part in einem Bollywood-Film übernehmen, so überzeugend hingebungsvoll und selbstvergessen spielt er die Rollen, die die Lieder ihm vorgeben: den Sonnenuntergang, der sich wie ein bedrohlicher Schatten über den Tag legt, oder den plätschernden Wasserfall, der irgendwann zum Glück führt. Man sieht ihm gern zu, wie er in seinem Tanz aufgeht. Viel Gefühl und Herzschmerz. Dabei ist Bharatanatyam sicher alles andere als eine Liebesgeschichtensammlung. Bharatanatyam ist aber auch nicht nur hinduistische Ehrerbietung, die man in Indien vor Tempeln und auf großen Plätzen bei religiösen Feiertagen, Geburtstagen und Hochzeiten aufführt.

Der südindische Tanz, wie ihn Sudarshana Kumar lehrt, ist so etwas wie eine tänzerische Revolution. Bharatanatyam setzt nicht nur das hunduistische Kastensystem außer Kraft. Jeder darf mittanzen: Frau, Kind, egal ob er einer höheren oder niederen Kaste angehört. Und Bharatanatyam ist religionsübergreifend: für Hindus, Christen oder Muslime. In den 30er Jahren hat die Inderin Rukmini Arundel die moderne Version des Tanzes entwickelt, und inzwischen sogar Symbole für zum Beispiel christliche Tänzer eingearbeitet. Sudarshana Kumar hat an ihrem Institut, der Kalakshetra Foundation in Madras, studiert.

In Potsdam geht es ihm nicht darum, die perfekte Tanztechnik zu vermitteln. Der Tanzprofi will seinen Gästen eine Idee der indischen Mythologie geben. „Was im Hinduismus Bharatanatyam ist, ist im Christentum das Geschichten Erzählen aus der Bibel.“ Nur dass man zu dem Ganzkörpertanz mehr indische Leidenschaft braucht.

ab 9. Januar. Kurse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Ansprechpartner: Theater Nadi, Tel. 0331/581 82 61

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