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Kultur: Junge Choreografien

Die „Sturmfreie Bude“ in der fabrik Potsdam wurde eröffnet

Die „Sturmfreie Bude“ in der fabrik Potsdam wurde eröffnet Während die fabrik Company durch die Welt tourt, darf ihre Heimatbühne von jungen Choregraphinnen und Choreographen gestürmt werden. Ohne Auswahlkriterien treten diejenigen auf, die sich zuerst beworben haben, in der Reihenfolge des Eintreffens der Bewerbungen. Die Berlinerin Bridge Markland machte das Rennen und eröffnete mit ihrer Hörspiel-Theater-Performance „Wissi der Große“ die „Sturmfreie Bude Nr. 1“. Aus einem großen Karton heraus erzählt sie die ersten dreißig Lebensjahre Stalins (Jossif Wissarionowitsch) und zwar stichwortartig, in zehn Minuten. Von einem Soundtrack aus Sätzen (Deutsch, Englisch, Russisch) und Songausschnitten dirigiert, steht der Lederstiefel, wie beim Kasperletheater über die Oberkante des Kartons herausgestreckt, für den Schuster-Vater Stalins. Die kleine Marienstatue steht für die religiöse Mutter. Die Sätze sind knappe Feststellungen: „He wants to be a priest.“ Ebenso lapidar sind die Bewegungen, die Bridge Markland dazu ausführt. Ihr androgynes Gesicht mit dem Stalinschnurrbart und den aufgerissenen Augen benutzt sie so emotionslos zeichenhaft wie die Requisiten. Die Beatles singen „revolution... we all want to change the world“ und der „junge Stalin“ dreht einfach die senkrechte Erdachse eines Globusses in die Horizontale. Schließlich stolziert er in Uniform aus dem Karton heraus. Der freche Galopp durch die Stalin-Biografie und die witzige Plattheit der Darstellung gaben dem Stück einen eigenen Reiz. Seit wenigen Monaten erst sind Marise Dinis und Ricardo de Paula in Berlin. Sie kommen aus Brasilien. „Poço" (Brunnen) ist ihr erstes eigenes Tanzprojekt. Links steht ein Mann in hellen Boxershorts, er reißt die Arme in die Höhe, während Kopf und Hände schlaff herunterhängen. Rechts auf der Videoleinwand ist eine Badewanne zu sehen, in der eine nackte Frau im Wasser liegt. Streichermusik. Der Mann befühlt seinen Körper, langsam, ein Arm macht sich selbständig und schlenkert um den Rücken. Die Frau bewegt sich in der Wanne, langsam, scheint den engen Raum auszuloten und die Bewegungen ihres Körpers im Wasser. Die Musik wird dynamischer und der Mann wiederholt den fühlenden Bewegungsablauf. Diesmal als sehr schnelle Bewegung, die über und durch den Körper fließt. Dann beginnt er, seinen Körper abzulecken, die Schultern, Arme, Hände, bis hinunter zu den Füßen. Erst als der Mann die Bühne verlässt, im Videobild auftaucht, um den Stöpsel aus der Wanne zu ziehen und als die Frau wie wahnsinnig immer von neuem in das schwindende Wasser taucht und das Geräusch des überschwappenden Wassers in den Zuschauerraum dringt, wird deutlich, dass es sich um eine Live-Übertragung handelt. Ausgehend von dem Anblick eines Obdachlosen im Winter, der aus Überlebensgründen nicht aufhören durfte, sich zu bewegen, hat Noreen Guzmán de Rojas ein Solostück entwickelt. Die aus Bolivien stammende Tänzerin gehörte zum Tanzensemble der Komischen Oper Berlin und erarbeitet nun eigene Choreographien. Mit abgehackten Bewegungen und staksenden Beinen bewegt sie sich über die Bühne, von einem spanischen Redefluss getrieben und bricht schließlich zusammen. Elegische beruhigende Streicherklänge, sie tanzt zunächst am Boden, dann tief über dem Boden. Gefühlvoll und spannungsgeladen sind ihre Bewegungen, verrenkend, schlängelnd. Bis sie in einer Lichtbahn bei ausklingender Musik rückwärts geht und die zitternd nach vorne flatternde Hand mit der anderen immer wieder zurückdrängt. Nach der Pause tanzten die jungen Tänzerinnen Anne-Katrin Brinkmann (Berlin), Golde Grunske (Cottbus) und Lea Martini (Berlin) „Fallbeispiel Ikarus“. Es ist ihre erste gemeinsame Arbeit. Sie versuchten, ihre Körper nach den Konsonanten und Silben, die sie aussprachen, zu bewegen. Jessy Tuddenham (USA) und Jadi Carboni (Italien) tanzten „Part V: Prologue, Chapters 1-3, Epilogue“ von Jessy Tuddenham. Ein harmonisches Miteinander, doch irgendwie spannungslos. „Ginkgo“ von dem Franzosen Phillipe Fabre tanzten Clint Lutes und Anne Poncet. In einem Kreis aus Ginkgoblättern und zu dramatisch-süßer Klaviermusik war ihr Tanz Anziehung und Abstoßung und immer wieder die zarte Frau gehalten, gehoben, getragen von dem Mann. Knapp 40 Leute waren gekommen, um den unterschiedlichste Niveaus und Stile vereinenden Tanzabend zu erleben. Es war mehr ein interessanter Querschnitt als ein begeisterndes Programm, aber es sollte ja auch eine dem Zufall überlassene offene Bühne für erste oder anfängliche Versuche sein.Dagmar Schnürer Sturmfreie Bude Nr. 2: 19./20. März. Sturmfreie Bude Nr. 3: 30. April/ 1. Mai, jeweils 20 Uhr.

Dagmar Schnürer

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