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Kultur: Mit voller Kraft voraus

Wiederauflage: Villons Balladen im Comédie Soleil

Erfreulich. Dank „lieber Menschen“, erwachter Ämter und dem Einfluss gewichtiger Persönlichkeiten kann das Theater „Comédie Soleil“ seinen Spielbetrieb fortsetzen. Nach dem Fegefeuer der letzten Monate geht es nun mit voller Kraft voraus. Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ wollen bald New York erobern, sinnvolle Neuaufnahmen von „Tartuffe“ und „Das Grauen der Borgia“ im Januar leiten zu den Neuinszenierungen (u.a. „Rotkäppchen“), welchen man gespannt entgegensieht.

Aufbruchsstimmung, Dankbarkeit und Zuversicht beherrschten auch am Wochenende die Feuerbachstraße 3, als Theaterleiter Michael Klemm sein kaum bekanntes Francois-Villon-Programm vom September 2004 reaktivierte. Kaum zu verstehen, warum dieses kompakte, im Atmosphärischen sehr dichte Solo nicht ständig auf der Repertoire-Liste steht. Kleine, bewegliche Stücke haben mancher Truppe schon beim Überlebenskampf geholfen, und Potsdam hat es stets zu danken gewusst.

Villons Balladen sind ja allesamt hundertprozentige Renner, egal ob sie das „angenehme Leben“ besingen, sich an die „verlorenen Kinder“ (zu denen Francois-Villon sich selber zählte) wandten oder die dicke Margot lobpriesen. In ihnen tobt das pralle Menschenleben des 15. Jahrhunderts mit ungebremster Wucht in gallischer Art. Tiefe Klage steht neben allerhöchstem Entzücken, Sinnenfreude neben Lebensweisheit, Geistliches zwischen dem Weltlichen.

Seine Füße vagabundierten noch durch Frankreichs Mittelalter, Kopf und Leib gehörten längst der Renaissance. Er war Scholar, Sänger, Hungerleider, Bordellbewohner, Ehebrecher, Langfinger, Totschläger, Knastbruder, Abbitter seiner gesammelten Sünden, als er dreimal an den Galgen sollte. Was muss der Mann für eine Last getragen haben! Nach seiner letzten Begnadigung ist er in der Verbannung spurlos verschollen. Kerzen erhellen die Bühne, ein gotisches Fenster, Michael Klemm betritt sie im weißen Überwurf-Hemd. Ihm gegenüber, auf einem Hochsitz im gut besetzten Parkett, improvisiert der Berliner Sebastian Döring längst schon weiche Akkorde auf seiner E-Gitarre – keine Vorstellung im „Soleil“ ohne Live-Musik.

Der Solist als Villon beklagt den Undank der Welt, weil seine Rechnung nicht aufging: Angeblich hat er ihr, der Welt, mehr gegeben als er zurückbekam. Später wird er einem Denunzianten böser Zungen alles Ekel-Übel dieser Welt an den Hals wünschen, seine Lotter-Freunde besingen, die Frauen und Huren „vergangener Zeiten“ loben und einen Herzog keck um Geld anpumpen. Tiefstapelei, hier von einer „Musikalischen Lesung“ zu sprechen! Von Bravorufen inmitten der Vorträge angetrieben, lief Klemm temperamentvoll zu schauspielerischer Hochform auf. Er gestaltete die Balladen fast episch, sog das Publikum in seine Lebenslinien kraftvoll hinein, er war der „arme Villon“, sein eigener Lieblingsdichter, kein Leichtfuß und Saufaus, sondern einer, der, ernst und bitter seine Lebenssumme ziehend, andere vor solchem Lebenswandel warnte. Liebe meint immer den Kopf.

Er verfasste ein Großes und ein Kleines Testament in Versen, davon Auszüge zu hören waren. Wenn es auch des Szenischen wie der Klänge manchmal zu viel war, so sprang der Funke Leidenschaft doch über.

Exzessiven Charakteren wie einem Villon gebar sie viele Leiden, dem Publikum von Comédie Soleil indes einen Theaterabend zur Zufriedenheit aller – sinnlich, lehrreich, sehr schön. Solchen Sinnes wünschte man in spe: Volle Kraft voraus!

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