zum Hauptinhalt

Kultur: Trauriger, erleuchteter Narr Stephan Krawczyk

sang im Lindenpark

sang im Lindenpark Von Matthias Hassenpflug Hoch oben, einen Meter über den Köpfen sitzt der Liedermacher auf der Bühne im Lindenpark. Eingerahmt von zwei riesigen weißen Säulen aus Pappmaché. Vor sich ein Mikrophon, das in die kräftige Verstärkeranlage des Jugendfreizeittreffs führt. Etliche Reihen roter Kunststoffstühle für das Publikum. Das alles könnte stattlich wirken. Ein Künstler, der durch Erhebung gewürdigt werden soll, dem durch das Antiken-Zitat Ehrerbietung gewährt wird, für dessen riesiges Publikum alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen wurden. Welch“ ironisches Missverständnis. Krawczyks einfache, klare, so wortsicheren Lieder und Texte brauchen keine Überhöhung, sie verlangen danach, dem Publikum ins Gesicht gesungen zu werden. Nähe vor allem. Teilen auch. Das funktioniert, sobald Krawczyk seine Gitarre herausholt. Er ist deshalb kein Bühnenkünstler, er ist einer der selten gewordenen Volkskünstler. So jemand Unbeugsames musste eine Gefahr sein in der DDR, das Aufführungsverbot erging 1985. „Herr Krawczyk“, hieß es, „aus ihrem Mund klingt sogar Brecht wie ein Staatsfeind.“ Drei Jahre später wurde er inhaftiert und in den Westen abgeschoben. Im Lindenpark erzählte der Sänger, was er wohl immer erzählt. Er wollte nie der „Dissident“ sein, von dieser Schublade habe er die Nase voll. Propheten gelten bekanntlich nichts im eigenen Land und die Revolution hat ihre Kinder längst entlassen. So ist die Zahl derer, die Krawczyk im Lindenpark hören wollen, viel zu gering für jemanden, dessen Stimme sich nie beugen wollte, der immer nur auf sich gehört hat. „Nieder mit den falschen Führern“, singt er, „hoch, hoch, König Narr.“ Stephan Krawczyk interpretiert an diesem, wie wohl an jedem Abend die Rolle des klugen Narren, er nennt „die Dinge beim geheimen Namen.“ Manchmal sind seine Texte so verschroben – seine Augen rollen ein wenig wirr oder er imitiert ein Blasinstrument – dass man Angst um ihn bekommt, er könne dem Wahnsinn verfallen sein. Wenn er fröhlich singt, es sähe alles so gut aus, von hier oben, er selbst wäre „das Gute von der Enterprise“. Krawczyks Narr ist immer auch ein trauriger. Er singt von dem Gefühl, nur noch „sein eigener Lebensverwalter“ zu sein. Die Welt, so meint er, sei ein Jammertal. In den Kopf dieses Narren will nicht hinein, was er beobachten muss. Hatte er sich nicht eine Welt gewünscht, dass „einem das Herze blutet“. „Unterm Strich“, lautet seine Erkenntnis, habe er eine Welt bekommen, so schlecht, wie man es gar nicht vermutet.“ Zwischen den Liedern liest und rezitiert der 50-jährige Dichter Texte, die sich auch in seinen fünf Büchern wiederfinden. Ein Kabarettprogramm hat er ebenfalls geschrieben. Gefärbt in der Melodie seiner Thüringer Heimat streitet sich ein einfaches Ehepaar über die verschiedenen Qualitäten des Toilettenpapiers im Supermarkt. Sie will „Veränderung“ und meint, sich mit sechs-lagigem zu verbessern. Er erwidert trocken: „Wenn du dich richtig verändern willst, dann musst du mal ein Risiko eingehen. Nimm doch einlagiges!“ Krawczyk ist eben ein Volkspoet, der Konsum-Kritik angemessen zu verpacken versteht. Seltsam, wie wenig rückwärtsgewandt dieses Programm wirkt. Selbst wenn Krawczyk vom „zugeschwollenen“ Reservehahn eines Trabis erzählt. Er will erinnern, hat aber längst schon losgelassen und betreibt allenfalls Volkskunde. Besser als alles in der Welt versteht Krawcyzk sich selbst. Von der zügellosen Liebe im Strandkorb weiß er zu erzählen, wo er „die Stelle an der Schulter“ küsst, und später auch vom „schönen Lachen“ seines kleinen Sohnes. Letzte Woche ist der Sänger auch zum ersten Mal Großvater geworden. Man spürte, dass Stephan Krawczyk „die Ruhe selbst gefunden hat, in der man nichts vermisst“, seine Traurigkeit wirkt – wunderbar erleuchtet.

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false