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Kultur: Von der schönen Jüdin und anderen Vorurteilen

Lesung im Alten Rathaus mit Büchern zur Geschichte der Juden

Lesung im Alten Rathaus mit Büchern zur Geschichte der Juden Elvira Grözinger hat ein Buch über Frauen geschrieben. In der wissenschaftlichen Arbeit von Manfred Voigts kommen keine Frauen vor. Weit auseinander liegen die Perspektiven, mit denen sich die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler jüdischer Geschichte und jüdischem Selbstverständnis widmen. Nur, dass sie in der Betrachtung des Judentums ungewöhnliche Positionen einnehmen, haben sie gemein. Sie schrieb ein Buch über jüdische Frauenfiguren in der Literatur, er befasste sich mit den zionistischen Anhängern des Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Beide Wissenschaftler waren am Mittwochabend im Rahmen der 12. Brandenburgischen Buchwochen zu Gast im Alten Rathaus. Mit ihren Frauenbildern machte Elvira Grötzinger dem Publikum den Einstieg in die Tiefen der Geschichte leicht und anschaulich. Manfred Voigt hatte mit seiner 222 Seiten dicken Studie „Wir sollen alle kleine Fichtes werden. Johann Gottlieb Fichte als Prophet der Kultur-Zionisten“ den schwereren Part. Ihm blieb allein mit einem abstrakten Thema zu unterhalten. Fichte und den Zionisten. Es gelang ihm mit Mühe. Elvira Grözinger nähert sich ihrem Thema auf sinnliche Weise. Was schon im Äußerlichen ihres Werkes zum Ausdruck kommt. Ihr Buch ist dunkelrot eingeschlagen mit einem Frauengesicht von Gustav Klimt auf dem Deckblatt (Foto). „Die schöne Jüdin“ hat sie ihr Werk genannt. Sie geht darin Klischees, Mythen und Vorurteilen auf den Grund, die Schriftsteller ihren jüdischen Protagonistinnen auf den Leib schrieben. Drei wesentliche Motive liegen dem Mythos der „schönen Jüdin“ zugrunde, erzählt die Vorleserin. Von der hebräischen Bibel über das Neue Testament bis ins 20. Jahrhundert haben jüdische und christliche Autoren jüdische Frauengestalten zu vorbildhaften Heldinnen gemacht, sie in Opferrollen gedrängt oder ihnen verführerisch gefährliche Eigenschaften angedichtet. Erst in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts sei damit Schluss, hätten israelische Autorinnen die „schönen Jüdinnen“ entmythologisiert und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Autoren, die es mit ihren jüdischen Frauenfiguren gut meinten, ließen sie als nicht nur schöne, sondern auch kluge und intelligente Frauen auftreten und zu Retterinnen ihres bedrängten Volkes werden. Die Rolle der arglistigen Schönen, die mit ihrer Schläue nur Verderben bringt, ließen Autoren von jüdischen Frauen spielen, wenn sie den Juden weniger wohl gesonnen waren. Die schöne Jüdin ströme einen Geruch von Vergewaltigung und Massaker aus, soll der französische Denker Sartre gesagt haben. Elvira Grözinger listet Beispiele auf: Grillparzer ließ die ermordete Jüdin von Toledo als geheimnisvolle Verführerin des unschuldigen Königs da stehen. Gerhard Hauptmann habe die jüdische Frau gar als Todbringerin bezeichnet. Antisemitische Schlachtrufe in literarischer Verkleidung wirft ihm die Autorin vor. Es liegt leichte Schwermut in der Luft. Doch geht es der Wissenschaftlerin nicht um Anklage oder moralischen Zeigefinger. Sie sucht in der Literatur nach der Identität jüdischer Frauen. Mit Witzen über Gins, die selbst hässliche jüdische Ehefrauen nicht mehr verzaubern können, heitert die Autorin die Stimmung auf. Ihr Gegenüber am Vorlesetisch, Manfred Voigts, berichtet von Fichtes Anziehungskraft für Zionisten. So wie er zur Zeit Napoleons das Ende des deutschen Volkes befürchtete, befürchteten sie das Ende des jüdischen Volkes. Wie Fichte wollten sie etwas Neues schaffen. Die Radikalität, die Ideen des „großen Geistes“ sprach ihnen aus den Herzen. Mit seinen Mitteln könnten sie die alten Zöpfe der zum großen Teil assimilierten Juden abschneiden, glaubten sie. Dabei verschlossen sie die Augen vor den antisemitischen Sätzen in Fichtes Theorien, gerade in seinem Frühwerk. Die judenfeindliche Haltung Fichtes wurde in der modernen zionistischen Geschichtsschreibung bisher verdrängt, berichtet der Wissenschaftler. In der antisemitischen Forschung blieb wiederum der Philosoph Fichte außen vor. Voigts habe in seinem Buch beides verbunden. M. Hartig

M. Hartig

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