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Kultur: Warum heißen die Dinger eigentlich Joggingbrötchen?

Selim Özdogan erzählte und las im Waldschloss

Selim Özdogan erzählte und las im Waldschloss Sich zu wundern, vielleicht ist dies die augenscheinlichste Eigenschaft von Selim Özdogan. Und wahrscheinlich auch die Eigenschaft, die am meisten erklärt. Sich zu wundern über die kleinen Dinge, die uns täglich begegnen, für einen kurzen Augenblick nur unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um dann schnell im Reich des Normalen zu landen, weil wir uns über so vieles nicht mehr wundern wollen. Selim Özdogan bleibt hier stehen und schaut genauer hin. Ob in den Bäckereien die Vollkornprodukte neuerdings Namen wie Joggingbrötchen oder Kraftprotzbrot tragen. Ob bei einer Wegbeschreibung plötzlich von einer Kreuzung die Rede ist, die sich „weiter vorn unmissverständlich gabelt“. Wo wir nur mit den Schultern zucken würden, da hält Özdogan inne und greift diese Fäden auf. Denn er weiß, dass in diesem scheinbar Alltäglichen noch die besten Geschichten zu finden sind. Geschichten zu schreiben, das ist eine Sache. Geschichten zu erzählen, ist eine andere, vor allem Özdogans Sache. Am Samstag kam er ins Waldschloss, um vor überschaubarer Zuhörerschaft Kurzgeschichten und Gedichte zu lesen. Doch Lesung ist vielleicht nicht das richtige Wort. Dem 32-jährigen Özdogan, der als freier Autor in Köln lebt und mittlerweile sechs Romane und Erzählbände veröffentlicht hat, ist das Lesen vor Publikum nie ein Gräuel gewesen. Özdogan ist gern unterwegs, schätzt die Nähe zu seinem Publikum, die spontanen Reaktionen. Und vor allem schätzt er das damit verbundene Reisen, die Orte mit den seltsamsten Namen, in die es ihn verschlägt und die seinem neugierigen Blick immer wieder Geschichten erzählen. So begann Özdogan dann diesen Abend auch nicht mit Texten aus seinen Büchern. Er erzählte Anekdoten, die ihm auf seinen Reisen wiederfuhren. Und wer wie er mit der Bahn unterwegs ist, der braucht darauf nicht lange zu warten. Özdogan ist gut, wenn er mit Humor unterwegs ist. Er hat Gespür für die Alltagskomik, seine Pointen sitzen, ob er nun über die Sprachverirrungen in deutschen Bäckereien nachdenkt oder das Dilemma türkischer Traditionen, die in Deutschland nicht ohne weiteres durchgeführt werden können, aufzeigt. Da erzählte er in „Opferfest“ von den Versuchen, obwohl hierzulande noch verboten, ein Schaf rituell zu schlachten. Die zu erwartende Katastrophe bleibt nicht aus. Einer erleidet einen Hexenschuss bei dem Versuch, das Schaf in der Badwanne zu schlachten. Der andere versucht stundenlang das tote Tier, hinter verschlossener Tür, fachgerecht zu zerlegen. Das Resultat dieses Gemetzels führt dazu, dass der Ich-Erzähler erst Monate danach nur widerwillig anfängt, wieder Fleisch zu essen. Özdogans Stärke liegt hier in der Hintergründigkeit seiner Überspitzungen. Man lacht über den türkischen Onkel, der über das „Land der Ungläubigen“ und seiner Gesetzesstarre wettert, aber die deutschen Ärzte in den Himmel lobt. Gleichzeitig spielt Özdogan mit Klischees, in denen Deutsche als auch Türken voneinander denken und die zu Misstrauen und Vorurteilen geführt haben. Vorurteile, die auch Özdogan zu spüren bekommt, wenn sein Gegenüber erfährt, dass er Türke ist und überrascht äußert, wie gut doch sein Deutsch sei. Etwas platt erschienen dagegen die Texte, in denen er sich mit der Liebe auseinander setzte. Beim Strandspaziergang mit der „Frau seiner Träume“ bewegte sich seine sonst klare, aussagekräftige Prosa zu oft nur auf ausgetrampelten Pfaden, wirkte das Erzählte zu phrasenhaft, zu pathetisch, wenig überraschend. Zu überzeugen wie in seinen anderen Texten und Erzählungen gelang ihm hier nur selten. Doch wenn er seine Augen offen hält und sich wundert, dann ist er groß. Dann spinnt er aus einer Anzeige, die er in einem Katalog entdeckte und in der für Wein geworben wird, der von Lesben geerntet, gekeltert und in Flaschen gefüllt wurde, also als reiner „Lesbenwein“ bezeichnet wird, eine Prosaskizze, in der er mit nur wenigen Worten aufzeigt, wie lächerlich derartiges eigentlich ist. Darin ist Selim Özdogan fast schon meisterhaft.Dirk Becker

Dirk Becker

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