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DAS SPIEL MEINES LEBENS: PAUL KALKBRENNER: 16.11. 2010, River Plate – Boca Juniors 1:0 Paul Kalkbrenner, 35, Musiker

Aufgezeichnet von Andreas Bock. Ich bin im Osten groß geworden, und wenn mich früher ein Lehrer fragte, war natürlich der BFC Dynamo mein Lieblingsverein, klar.

Aufgezeichnet von Andreas Bock.

Ich bin im Osten groß geworden, und wenn mich früher ein Lehrer fragte, war natürlich der BFC Dynamo mein Lieblingsverein, klar. Doch eigentlich faszinierte mich viel mehr der FC Bayern. Er war ja nicht nur ein gewöhnlicher Klub aus dem imperialistischen Westen, nein, er war die Ausgeburt des Kapitalismus. Es hatte für mich also etwas Subversives, diesen Verein toll zu finden. Bei einem Kumpel guckten wir regelmäßig Sportschau. Eine aufregende Sache, fast ein wenig konspirativ, schließlich durfte das ja sonst niemand erfahren.

Heutzutage ist es für mich fast schwieriger geworden, alle Spiele zu schauen. Denn auch wenn ich nun tun und lassen kann, was ich will – mir fehlt schlicht die Zeit, ich bin ja mitunter 250 Tage im Jahr als DJ unterwegs. Daher versuche ich, wann immer es geht, das Schöne mit dem noch Schöneren zu verbinden. Und als ich dann 2010 in Buenos Aires einen Gig vor 60 000 Menschen spielte, dachte ich zunächst: Besser kann es nicht werden. Doch dann sah ich am nächsten Tag, dass der Superclásico im Monumental anstand. Meine Freundin und ich sind sofort zum Stadion und haben tatsächlich noch Karten bekommen. Und es war unglaublich. Ich hatte ja diese ganzen Klischees von dieser Begegnung im Kopf, River Plate die Reichen, Boca Juniors die Arbeiter. Das stimmt allerdings nur noch bedingt. In beiden Lagern sieht man Leute unterschiedlicher Herkunft. Was mich beeindruckte: Die Leute sehen sich dort nicht nur ein Fußballspiel an. Es kam mir vor, als seien sie in einer Kathedrale. Um mich herum standen zum Beispiel etliche Frauen, die auf die Knie sanken und ihre Hände zum Beten vors Gesicht schlugen. Man kann so was natürlich als Koketterie abtun. Doch ich glaube, die Leute fühlten tatsächlich so. Für mich war es jedenfalls ein wunderbares Erlebnis. Und ganz nebenbei war es das erste Fußballspiel, das meine Freundin je im Stadion gesehen hat. Für sie kann es also nur noch bergab gehen.

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