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Sport: Die Missionarin Der Reife

Franziska van Almsick lässt Claudia Pechstein keine Chance Box-Weltmeister Sven Ottke ist ein Berliner Junge geblieben

Der Tag, an dem sie zur sportlichen Legende werden sollte, begann für Franziska van Almsick mit Wahnvorstellungen. Sie wachte auf und dachte, sie hätte Fieber. „Ich hatte wirklich Wahnvorstellungen“, sagte sie später. Zwischen den Wahnvorstellungen und diesem Satz lag der größte Triumph der WeltklasseSchwimmerin van Almsick. Die 24-Jährige hatte Weltrekord geschwommen, 1:56,64 Minuten über 200 m Freistil, ihrer Spezialstrecke. Es war die größte Sensation der EM 2002 in Berlin. Aber es war noch viel mehr. Es war das triumphale Comeback der Franziska van Almsick. Die Werbemillionärin hatte nicht bloß ihren eigenen acht Jahre alten Weltrekord (1:56,78 Minuten) verbessert, sie hatte eine spektakuläre Antwort auf Häme, bösartige Schlagzeilen und missgünstige Kritiker gegeben. Und vor allem: Sie hatte sich endlich Respekt verschafft. Jahrelang war sie dem Gefühl, anerkannt zu werden, hinterhergelaufen. Sie wurde 1998 Staffel-Weltmeisterin, sie gewann 2000 Olympia-Bronze, aber das alles wurde von Kritikern mit einer lässigen Handbewegung weggewischt. Stattdessen strapazierten sie das Bild der übergewichtigen, nervenschwachen van Almsick, und dieses Bild vollendeten sie, als sich die Berlinerin in Sydney nach ihrem verpatzten Halbfinale über 200 m Freistil aus dem Wasser quälte. Van Almsick schwamm weiter, beseelt von dem Wunsch, endlich diesen Respekt zu bekommen, den ihr vier Olympiamedaillen, zwei WM- und mehr als 20 EM-Titel noch nicht eingebracht hatten. Das Publikum in Berlin trieb sie zu diesem Weltrekord, Sportlerin und Fans vereinten sich wieder in einer mitreißenden Atmosphäre. Die 24-Jährige wird noch bei Olympia 2004 starten. Olympiagold hat sie immer als sportlichen Höhepunkt betrachtet. Aber nach dem Triumph 2002 wäre es nur noch eine Zugabe. fmb

Sein Trainer Ulli Wegner hat mal über ihn gesagt: „Bei ihm ist es wie mit einem guten Wein. Je älter er wird, desto besser wird er.“ Nun ist es müßig darüber zu philosophieren, ob und inwiefern die Berliner als besondere Weinkenner durchgehen. Unstrittig ist, dass sie ein feines Gespür haben für Authentizität und ehrliche, sportliche Leistung. Ihr Votum für Sven Ottke fiel eindeutig aus. Der 35-Jährige darf für sich in Anspruch nehmen, den Radprofi Erik Zabel hinter sich gelassen zu haben, der noch vor einem Monat bundesweit zum „Sportler des Jahres 2002“ gewählt worden war. Sven Ottke vermochte durch seine Auftritte dies- und jenseits des Boxrings die Menschen zu begeistern. Viermal verteidigte der Super-Mittelgewichtler seinen Titel im vergangenen Jahr erfolgreich. Ohne mit dem Makel zu leben, Gegner der Kategorie „tomato cans“ – Fallobst – geboxt zu haben. Seit fast sechs Jahren und in 29 Profikämpfen ist der gebürtige Spandauer ungeschlagen. Dass er seit dieser Zeit in Karlsruhe lebt und in Köln trainiert, irritiert niemanden. Ob Ottke für Flutopfer sammelte, oder als Botschafter der Olympiabewerbung Leipzigs wirbt, er ist ein Berliner Junge geblieben. Seine kesse Zunge, seine flotten Sprüche, seine unkomplizierte und stets aufrichtige Art verraten ihn und mehren seine Sympathiewerte.

Bodenständigkeit ist sein wesentlichster Charakterzug. Allüren und Eskapaden sind ihm fremd. „Auch wenn ich noch ein weiteres Jahr Weltmeister bleibe, würde sich nichts ändern. Ich wohne immer noch in der gleichen Wohnung, nur ein anderes Auto habe ich.“ Als Ottke vor gut einem Jahr zum zweiten Mal Vater wurde, dachte er ernsthaft darüber nach, das Boxen Jüngeren zu überlassen. Er wird den richtigen Zeitpunkt finden. Noch aber fehlt es denen an Güte und Reife eines Sven Ottke. miro

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