Stadterneuerung: Akropolis adieu - Athen wendet sich dem Meer zu
Mit dem ersten Spatenstich begann auf dem alten Flughafengelände Ellinikon das größte Quartiersentwicklungsprojekt Europas
Sie baggern und schaufeln, schichten und sichten Baumaterial für die Wiederverwendung. Hier ein Haufen von verbogenem Bewehrungsstahl, dort aus alten Rollbahnen geschredderte Betonbrösel für das Kommende. Im Zentrum des Geisterflughafens, weitgehend unversehrt: das alte Abfertigungsgebäude. Ultramarinblaue Kacheln im einstigen Restaurant künden noch von den Swinging Sixties. Und hängt da nicht auch noch ein wenig Duft der großen weiten Welt in der Luft? Das zwischen 1966 und 1970 errichtete Bauwerk des finnischen Star-Architekten Eero Saarinen steht heute unter Denkmalschutz. Es wird die alten Zeiten überdauern, wie auch der ein oder andere Hangar. Der Rest ist Geschichte.
Ellinikon, von 1938 bis 2001 der internationale Verkehrsflughafen der griechischen Hauptstadt, macht in Einzelteilen den Abflug. Südöstlich des Stadtzentrums von Athen wird heute das derzeit größte Stadterneuerungsprojekt Europas in Angriff genommen: mächtig gewaltig – mit einem Hauch Beverly Hills, einer Prise Singapur, einem Touch Ökologie, einer Spur Hightech.
Am 17. Oktober 2022 ging das Projekt offiziell an den Start
Seit 17. Oktober ist Ellinikon nun auch offiziell am Start. „Heute wird der Prolog für die neue Ära der Küstenfront und ganz Attikas geschrieben“, sagte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis zum ersten Spatenstich. Er sprach von 70.000 neuen Arbeitsplätzen.
Im Zuge dieser Mega-Investition in Griechenland wird hier das größte Einzelhandelsviertel Europas entstehen, zudem ein Jachthafen mit 400 Liegeplätzen und noch viel mehr: drei Hotels sind geplant, ein Kasino und 10.000 neue Wohnungen. Innerhalb der sechs Millionen Quadratmeter großen Gesamtfläche soll der größte Küstenpark der Welt geschaffen werden, sowie der zwei Millionen Quadratmeter große Metropolitan-Park mit fünfzig Kilometer Spazier- und Radwegen. Siebzig Prozent des Projektes werden mithin naturnah entwickelt, versprechen die Planer. Erfahrbar ist das schon heute im „Experience Center“, das in einem restaurierten Militärhangar eingerichtet wurde.
Ellinikon soll das Gesicht Griechenland in der Welt prägen
Investitionsminister Adonis Georgiadis sagte zum Startschuss, das Projekt werde „das neue Gesicht Griechenlands im Ausland“ sein. Das wird auch von der Gruppe Hard Rock International mitgeprägt. Sie erhielt die Lizenz zur Entwicklung eines integrierten Hotel-Casino-Komplexes mit 3.447 Betten, 200 Spieltischen und 2.000 Spielautomaten. Gemeinsam mit der Gek Terna Group will man 2026 das Hard Rock Hotel & Casino Athen eröffnen.
Aufgrund der geringen Entfernung zum Stadtzentrum wie auch zum neuen Flughafen Athen-Eleftherios Venizelos könnte die Lage kaum besser sein. Nur 30 Autominuten südlich der Akropolis gelegen, verläuft gleich unterhalb Ellikons die knapp 50 Kilometer lange Apollon-Küste am Saronischen Golf, auch bekannt als Athener Riviera. Der Küstenabschnitt reicht vom Hafen von Piräus bis zum Kap Sounion.
Dies ist ein bevorzugter Wohnort von Berufstätigen mit Arbeitsplatz im Stadtzentrum, Vielfliegern, Familien sowie aktiven Ruheständlern, die das nötige Kleingeld haben. Wer sich hier häuslich einrichten will, muss sich durchschnittliche Quadratmeterpreise von 7.000 Euro leisten können. In der Spitze werden bis zu 10.000 Euro erreicht. Dafür ist es schön grün – im Sommer erwartet diese Klientel keine mit Hitze aufgeladene Steinwüste wie sie in der Innenstadt häufig beklagt wird. „Ellinikon spiegelt ein neues Paradigma des Lebens, Arbeitens und Genießens am Meer wider“, sagt Odisseas Athanasiou, Geschäftsführer des Ellinikon-Projektes bei Lamda Development.
Ellinikon gehört mit Vouliagmeni, Voula und Glyfada zu den noblen Küstenvororten
Noch dominiert das nationale Klientel den Immobilienmarkt – doch internationale Käufergruppen holen auf, glaubt man dem Deutsch-Griechen Georg Petras, Geschäftsführer von Engel & Völkers Griechenland. Zu den teuersten Gegenden der Riviera zählen Vouliagmeni, Voula sowie Glyfada. Die eleganten Athener Küstenvororte gelten als die „Hellenischen Hamptons“ – Wahlresidenzen für lokale Prominente. Sie bieten neben pittoresken Uferpromenaden und exklusiven Strandclubs zahlreiche Shopping- und Ausgehmöglichkeiten, von lokalen Geschäften und authentischen Tavernen bis hin zu Designerboutiquen, Gourmetrestaurants, trendigen Beach- und Cocktailbars.
Das Interesse der Bundesbürger an Immobilien in Griechenland nimmt derzeit stark zu, berichtet die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf die Tageszeitung „Kathimerini“. Es übersteige mittlerweile sogar das Interesse der zuvor erstplatzierten Chinesen, hieß es Mitte Oktober. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Investitionen der Deutschen um 25 Prozent angestiegen, im Vergleich zu 2020 sogar um 40 Prozent, schrieb die Zeitung unter Berufung auf das Branchenportal „Ferimmo“. Die Online-Plattform mit rund 40.000 Objekten vereint dem Bericht zufolge mehr als 200 Makler und richtet sich gezielt an Interessenten aus dem deutschsprachigen Raum.
Athen hat eine finanzielle Frischzellenkur bitter nötig. Unter dem Druck internationaler Kreditgeber – wie EU und internationaler Währungsfonds – treibt die griechische Regierung Privatisierungen seit zehn Jahren voran. Durch den Verkauf des Tafelsilbers samt Filetstück Ellinikon allein wird die Sanierung des Staatswesens aber nicht gelingen.
Unter welchem Druck – und an welcher Stelle – Griechenland im internationalen Vergleich aktuell steht, zeigt etwa der jüngste „Cities in Motion Index“ der IESE Business School mit Campus in München. Sie hat 183 Städte weltweit auf Lebensqualität und Zukunftsfähigkeit getestet. Das Ergebnis ist aus griechischer Sicht niederschmetternd. Athen belegt Platz 121.
Ellinikon spiegelt ein neues Paradigma des Lebens, Arbeitens und Genießens am Meer wider
Odisseas Athanasiou, Geschäftsführer des Projektes von Lamda Development
„Athen schneidet schlechter ab als andere europäische Hauptstädte“, sagt auf Anfrage IESE-Professor Pascual Berrone. „Meines Erachtens wurde Athen von der vorangehenden Krise schwer getroffen und kämpft noch immer darum, sich ganz zu erholen“, sagt Berrone. Positiv zu vermerken sei die relativ starke Position Athens, wenn es um internationale Ausstrahlung gehe, nicht zuletzt aufgrund seiner touristischen Attraktivität. Da rangiert Athen auf Platz 52 weltweit. Auch die Bemühungen Athens, ein Technologiezentrum zu werden, honoriert der Index: mit einer Platzierung im vorderen Drittel. Der Index bezieht 114 einzelne Indikatoren der Stadtentwicklung in seine Überlegungen ein. Im Punkt sozialer Zusammenhalt gehört Athen zu den Schlusslichtern, liegt auf Platz 179.
Die Projektentwicklungsgesellschaft von Ellinikon ist das börsennotierte Unternehmen Lamda Development, das sein Geld vor allem mit Einkaufszentren verdient. Die Mehrheit wird von der LatsisGruppe gehalten, einer griechischen Reeder- und Bankiersfamilie. Die Latsis-Familie führt mit 2,6 Milliarden Euro die Liste der reichsten Griechen an.
Die Stadt umgarnt ihre Strandpromenade
Ohne Kosten für das Ellinikon-Projekt (8,5 Millionen Euro) und Finanzaufwendungen in Höhe von 8,3 Millionen Euro belief sich das bereinigte Nettoergebnis im ersten Quartal 2022 griechischen Zeitungsberichten zufolge nach Steuern und Minderheitsanteilen auf einen Gewinn von 9,1 Millionen Euro gegenüber einem Verlust von 0,8 Millionen Euro während des Geschäftsjahres den entsprechenden Vorjahreszeitraum. Lamda Development kann die gestiegenen Bau- und Energiekosten an die Investoren/Käufer der zu entwickelnden Immobilien in Ellinikon weitergeben, da es für die überwiegende Mehrheit der gestarteten Projekte keine vertraglich zugesicherten Verkaufspreise gibt. Die Gesamtinvestitionen belaufen sich nach Unternehmensangaben auf acht Milliarden Euro.
Bereits in diesem Jahr erwartet Lamda Development Einnahmen in Höhe von 200 Millionen Euro aus den ersten Kauf- und Verkaufsverträgen für die drei einzelnen Wohnprojekte, darunter The Cove Villas, die am Strand von Ellinikon realisiert werden. Beim Riviera Tower, einem von Foster + Partners (London) entworfenen Wohnturm, sollte der Vorverkauf ab dem vierten Quartal dieses Jahres beginnen, Interessenten sollten zwanzig Prozent des Objektwertes vorschießen. Die Baugenehmigung für den Tower an der Küstenfront, das dann höchste Gebäude Griechenlands – mit 200 Wohnungen – liegt seit August vor. Die ersten Stockwerke des 200-Meter-Giganten sollen ab 2023 gebaut werden.
Die Stadt umarmt ihre Strandpromenade, die größte Stadterneuerung Europas, die Investition des Jahrhunderts – wenn es um Ellinikon geht, fehlt es nicht an Superlativen. Zu lange – 20 Jahre lang – lag das alte Flughafengelände im Dornröschenschlaf. Es gab politische Proteste gegen die Bebauung zum Nachteil einer grünen Oase, die zunächst geplant war. Wie – und ob – Ellinikon langfristig in den Großraum Athen passen wird, ist eine noch offene Frage.
Panos Dragonas, Architekt und Professor an der Universität Patras, sagte der Presse zu dem Projekt: „Athen tut das Offensichtliche: Es wendet sich endlich dem Meer zu und gibt nach 200 Jahren seine Abhängigkeit von der Akropolis auf.“
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