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Wirtschaft: Börsenauguren sind auffällig zurückhaltend

Menschen im Allgemeinen - und Analysten im Besonderen - sind unverbesserliche Optimisten. So glauben 80 Prozent aller Autofahrer, dass sie ihr Fahrzeug überdurchschnittlich gut beherrschen.

Menschen im Allgemeinen - und Analysten im Besonderen - sind unverbesserliche Optimisten. So glauben 80 Prozent aller Autofahrer, dass sie ihr Fahrzeug überdurchschnittlich gut beherrschen. Schade nur, dass wir unmöglich alle besser fahren können als der Durchschnitt. Börsenexperten indes erwarten stets steigende Kurse. Schließlich lebt die Branche von prosperierenden Märkten.

Nur leider stürzen die Börsen eben doch hin und wieder ab, wie Anleger zuletzt leidvoll erlebten. Doch für 2002 versprechen die Auguren wieder positive Erträge. Wer ihre Prognosen aber genau unter die Lupe nimmt, stößt im Vergleich zur Euphorie der vergangenen Jahre auf große Zurückhaltung.

"Die Erwartungen sind wesentlich realistischer geworden", sagt Bernd Meyer, Europastratege der Deutschen Bank in London. Und die Europa-Experten der US-Investmentbank Morgan Stanley betonen zwar, dass Aktien im neuen Jahr bessere Erträge liefern dürften als Anleihen, doch die Höhe der Gewinne sieht Chefstratege Richard Davidson nur "im oberen einstelligen Bereich". Das klingt mager für Neue-Markt-Investoren, die sich an Zeiten von Kursverdopplungen und -verdreifachungen erinnern.

Auch bei einer Umfrage unter 263 Fondsmanagern weltweit stieß das US-Investmenthaus Merrill Lynch auf Details, die Zweifel am offiziell verkündeten (Zweck-)Optimismus der Aktienprofis aufkommen lassen. So erwartet die Mehrheit der Fondsmanager zwar in zwölf Monaten deutlich höhere Aktienkurse. "Trotzdem würden die meisten bei einem kurzfristigen Kursanstieg um zehn Prozent erst einmal Aktien verkaufen", sagt Merrill-Chefstratege David Bowers. Seine Interpretation: "Wir haben derzeit ein Börsenumfeld ohne klaren Trend, viele Fondsmanager sind verunsichert und kurzfristiger orientiert als sonst üblich."

Doppeldeutig scheint auch die Einstellung der Anlageprofis gegenüber den US-Börsen: "Einerseits bleiben die USA der beliebteste Markt der Fondsmanager, andererseits sehen sie die US-Börsen als überbewertet an im Vergleich zu anderen Regionen", erklärt Merrill-Experte Bowers. Kein Zweifel: Zwei Jahre fallender Börsen haben den scheinbar unerschütterlichen Optimismus vieler Investoren einen kräftigen Dämpfer verpasst.

Doch was bedeutet die neue Bescheidenheit vieler Experten für den künftigen Börsentrend? Zwei gegensätzliche Deutungen sind möglich. Einerseits spricht die gedämpfte Stimmung dafür, dass im Börsenjahr 2002 wohl kaum eine erneute Kaufpanik die Aktienmärkte in völlig neue Höhen treiben wird. Das dürfte allein schon die akute Wirtschaftsflaute mit dem Risiko einer weltweiten Rezession verhindern.

Auf der anderen Seite lässt sich die vorsichtige Haltung vieler Investoren aber auch positiv interpretieren: Sie spricht dafür, dass kaum noch heiße Luft in den Kursen steckt. "Das Platzen der Spekulationsblase haben wir weitgehend hinter uns", sagt Deutsche- Bank-Stratege Meyer. Künftig dürften die europäischen Börsen ungefähr im Gleichschritt mit dem nominellen Bruttoinlandsprodukt steigen. So gesehen, bilden die geschrumpften Erwartungen eine weit solidere Basis für moderate Kursgewinne als die Euphorie der Vergangenheit.

Denn viele Anleger sind nach dem Terroranschlag vom 11. September noch nicht wieder an die Börsen zurückgekehrt. So zum Beispiel der Anlageverwalter bei einem großen Versicherer. "Ich glaube zwar, dass Börsen ihren Tiefpunkt hinter sich haben", sagt er, "aber nach den Attentaten haben wir unsere Aktienpositionen trotzdem erst einmal voll durch Optionen abgesichert". Erst schrittweise steigt der institutionelle Investor wieder in die Aktienmärkte ein. "Die Nachfrage solcher vorsichtigen Anleger wird die Kurse weiterhin stützen", sagt Analyst Rolf Elgeti von der Commerzbank.

Einige Experten bleiben aber skeptisch, gerade beim US-Markt: "Die Kurse dort reflektieren immer noch die Hoffnung auf einen kräftigen Gewinnzuwachs für US-Unternehmen in 2002, was wir für unrealistisch halten", sagt Abhijit Chakrabortti, Chefstratege der Investmentbank JP Morgan. Seiner Ansicht nach sind selbst die gedämpften Erwartungen vieler Anleger noch nicht niedrig genug.

tmo, HB

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