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Wirtschaft: Geb. 1951

Gottfried Gartenschläger

Von David Ensikat

Du hast nichts in der Hand. Die haben dich in der Hand. Lass es sein, sag’ nein.

Sie waren wieder einmal in Rumänien, und alles ist gut gegangen. Fünf Christen aus der DDR im Barkas mit Anhänger, voll mit Kaffee, Medikamenten, Mehl und Kondomen. Die Spenden haben sie den bitterarmen Christen im Siebenbürger Sachsenland gebracht, so wie sie es in jedem Jahr zwei Mal tun. Schon an der ersten Grenze, der zu den Tschechen, hätte man Leute wie sie normalerweise aufgehalten, hätte sie gefilzt, hätte Fragen gestellt. Hat man aber nicht. Der Grenzer hat, wie jedes Mal, nur den Personalausweis verlangt und durchgewinkt. Am Steuer saß, wie jedes Mal, der Chef, der Pfarrer, der Gartenschläger (das Steuer gab er selten aus der Hand).

Sag mal, Gottfried?

Hmm.

Also, wie ist denn das nun?

Was’n?

Also biste oder biste nicht?

Was bin ich oder bin ich nicht?

Na, also, biste dabei?

Wobei?

Na hast du Kontakte zu denen?

Zu welchen? Mensch, was willst Du denn, du Hornochse?

Natürlich gab es den Verdacht. Aber wie klärt man ihn? Wie fragt man einen wie den Gartenschläger, ob er mit denen konspiriert? Mit denen von der Stasi. Wie sonst sollte so was gehen an der Grenze? Und hat er nicht oft genug, Jux oder nicht, getönt: Das mach’ ich mit meinen Stasi-Freunden klar! Ach was, das war doch nur die große Fresse. Wie nun fragt man einen mit so großer Fresse, einen, der Vorbild und so furchtlos ist, der den Leuten sagt: Macht das Maul auf, verdammt, tut was, damit in diesem Staat mal was geschieht!, wie fragt man so einen, ob er nicht doch mit denen redet. Da könnte man ja gleich fragen: Bist du ein Spitzel, ein Verräter?

Worte an die Stasi

Ein Konzert, ein Jugendclub in Pankow. Angekündigt: Gottfried Gartenschläger, Sänger, Keyboarder, Alleinunterhalter. Der Saal ist leer, den Besuchern wurde kurz zuvor mitgeteilt: Der Künstler kann nicht, Veranstaltung gestrichen. Es sitzt nur einer da und erwartet, dass Gottfried Gartenschläger für ihn allein nicht singt. Tut er aber doch. Ihm hat man nicht gesagt, dass er nicht könne. Außerdem geht’s um 300 Mark Gage. Und soll dieser eine Stasi-Hund ruhig Gartenschlägers Lieder mit den deutlichen Worten hören.

Gemeindeschwester Elke, die, die Gartenschläger später heiraten wird, steht an den Reglern und bemüht sich, die Musik so zu mixen, dass ihr Pfarrer hinterher nicht wieder aus der Haut fährt, weil seine Stimme nicht ganz, ganz deutlich zu hören war – die Stimme ist nicht toll, das weiß er selbst, aber ihm geht es um die Worte, die deutlichen, er will, dass sein Publikum versteht, was er von Ceausescu hält, dass er Sozialismus will, aber in der DDR nur bleibt, weil es hier die Freunde gibt, die Elke, den Reinhard, die Tina. Das Publikum, der eine Stasi-Mann, springt nach einer halben Stunde solcher Zumutungen auf, ruft: Genug!, und erst da fahren Gartenschläger und Schwester Elke wieder heim. Gespenstisch ist das, aber Hauptsache, man hat es denen wieder mal gezeigt. Denen.

Die junge Gemeinde. Gartenschläger, der Friedrichsfelder Pfarrer kümmert sich um die jungen Leute, weil er weiß, dass die Verkündigung des Evangeliums hier am wichtigsten ist. Verkündigung? Sie machen Musik, sie diskutieren übers Land und seine Idiotenpolitik, der Pfarrer macht den Jungen Mut: Tut was. Er sieht gar nicht aus wie ein frommer Pfarrer, der Hüne mit den Jeans und den langen blonden Haaren, dem Bart, nicht mal wenn er im Talar in der Kirche steht, mit dem Mikro in der Hand. Cool sieht er aus. Jesus Christ Superstar. Er redet auch nicht wie’n Pope, er redet derb, fährt Leuten über’n Mund, wenn die Mist erzählen. Er ist ganz von dieser Welt. Klar, dass man zu dem hingeht, wenn man ein echtes Problem hat.

Die Stasi will mit mir reden, regelmäßig. Was soll ich tun?

Was, glaubst du denn, ist richtig?

Ach, die sind so doof, die hab ich doch in der Hand. Vielleicht…

Vergiss es. Du hast nichts in der Hand. Die haben dich in der Hand. Lass es sein, sag’ nein.

Der Junge hat Nein gesagt. Er verdankt das seinem Pfarrer, dem Gartenschläger. Der wusste, dass man mit denen nicht spielen kann.

Hasenfüße und Demonstranten

Ein Tag im Frühjahr 88, eine nicht genehmigte Demonstration in Ost-Berlin, und die Stasi weiß nicht, was sie tun soll. Es geht ja gar nicht gegen die DDR, es geht gegen die Kirchenleitung. Da stehen eine Hand voll Friedrichsfelder Christen im Hof des Berliner Konsistoriums, dessen Präsident Manfred Stolpe heißt – einer, der nicht nur der Kirche gegenüber Rechenschaft ablegt. Die Leute wollen ihren Pfarrer Gartenschläger behalten, die Kirchenleitung will ihn aus Friedrichsfelde abziehen. Er ist unbequem, er reißt das Maul auf, er ist kein Mann des schnellen Kompromisses. Und jetzt hat er im Gottesdienst Freya Klier und Stephan Krawczyk auftreten lassen. Die Kirchenobersten, die in der DDR ständig Kompromisse eingehen mussten, haben es den Gemeinden untersagt, den singenden Staatsfeinden weiterhin Podien zu bieten. Gartenschläger wusste das, Gartenschläger hat es doch getan. Bei ihm durften solche Leute immer auftreten, warum auf einmal nicht mehr?

Er soll versetzt werden, und die Friedrichsfelder Gemeinde ist gespalten. Die Hasenfüße und die, die ohnehin nichts mit der heftigen Art des großen Blonden anfangen konnten, sind dafür, dass er geht, die anderen gründen einen eigenen Gemeindekirchenrat und organisieren die Gartenschläger-Demo vorm Konsistorium. Präsident Stolpe gibt sich zunächst konziliant, man kann ja über alles reden, später jedoch tut er, was er tun muss, die Kirchenleitung hat gesprochen, Gartenschläger muss gehen.

Man schickt ihn mal in diese Gemeinde, mal in jene, aber die Fahrten nach Rumänien, zwei Mal im Jahr, immer mit den Friedrichsfeldern, die gehen weiter.

Der Held heult

Ein Tag im September 91. Die Kirche in Altglienicke ist voll, so voll wie bei keinem Gottesdienst. Es geht nicht um heute, es geht um gestern, so sieht es zunächst noch aus. Vorne steht der Pfarrer Gartenschläger mit dem Mikro in der Hand, Fernsehkameras sind auf ihn gerichtet. Die Stasi und die Kirche, so heißt das Thema, Gartenschläger moderiert.

Der moderiert?, staunt einer auf dem Podium. Dieser eine hat vor ein paar Monaten mit Gartenschlägers Führungsoffizier gesprochen, der hatte ihm von den Treffen berichtet, bei denen der Pfarrer erzählt hat, nichts Brisantes, aber regelmäßig. Dieser eine ist dann zu Gartenschläger gegangen und hat ihm gesagt, was er weiß – und Gartenschläger hat geheult. Scheiße, ja, ich war dabei. Aber versteh’ doch.

Jetzt steht dieser eine auf in der Kirche und sagt: Wir reden hier so akademisch über die Stasi und all das. Und da moderiert der Gartenschläger, der vielleicht mal was Konkretes sagen sollte. Etwas über seine Schuld.

Radau. Wie kann das sein? Sie auch? Erstmal die Kameras raus aus der Kirche und dann Klartext. Gartenschläger ist jetzt gar nicht mehr der Star, wie sie ihn alle kennen. Er ist jetzt einer wie viele, einer, den man überführt hat. Ein Schuft, ein Böser.

Ist er’s wirklich? Etliche in der Gemeinde sagen: Nein. Oder sie sagen: Ja, aber… Sie sagen: Seht doch auch, was der für uns getan hat. Seht doch, was der für ein Pfarrer ist. Einen, der so viel tut, findet ihr nicht so schnell wieder. Die Gemeinde, diesmal die Altglienicker, ist gespalten. Wieder einmal streiten sich die Leute über Pfarrer Gartenschläger.

Der, der in der Kirche aufgestanden ist, heißt Reinhard. Es ist der Reinhard aus Gartenschlägers Lied, in dem auch Tina vorkommt. Wegen der Freunde, solcher wie Reinhard und Tina, wolle er im Land bleiben, hat er damals gesungen. Jetzt gibt es noch ein Treffen mit den beiden. Es geht um Verständnis, die Situation damals, um Freundschaft.

Ja, ich hab’ mit denen geredet. Habe denen unsere Blätter aus dem Friedenskreis gegeben. Aber wir wollten doch immer Offenheit. Und die wussten doch ohnehin schon alles. Ich wollte vermitteln zwischen denen und uns. Ich wollte überhaupt was tun! Was tun, versteht ihr? Wem habe ich denn geschadet?

Reinhard und Tina haben kein Verständnis. Wer kann schon sagen, wem die Informationen schaden? Die Stasi, das war der Feind, Punktum. Sie fühlen sich hintergangen, die Freundschaft – aus, vorbei, das war’s.

Vergebung? Woher?

Gartenschläger stellt sich noch ein paar Mal vor die Gemeinde, versucht, sich zu erklären. Sagt: Ich weiß nicht, was mit dem geschehen ist, das ich gesagt habe. Ich weiß nichts über den Schaden, den ich angerichtet habe. Wenn jemand erkennen kann, aus seinen Akten, welche Schuld ich trage, der möge kommen. Ich will reden.

Es kommt niemand. Was nicht heißt, dass da kein Schaden ist und keine Schuld. Es heißt: Gottfried Gartenschläger bleibt allein mit seiner Schuld. Vergebung? Woher? Sühne? Wie denn?

Für zwei Jahre versetzt ihn die Kirchenleitung in den Wartestand. Und er wartet. Man kann das Sühne nennen.

Dann bewirbt er sich. Er ist doch Pfarrer, hat sich immer über die geärgert, die sich Pfarrer nennen, aber die nichts tun, die Faulen, die Bequemen. 200 Bewerbungen schreibt er, nach Berlin, ins Umland, in den fernen Westen, zu deutschen Gemeinden in Mexiko und in Namibia. Nichts. Keine Chance. Er hält auch Predigten auf Probe, klar, dass die nicht jeder mag. Einige aber schon. Von einer Gemeinde nahe Berlin bekommt er einen Brief: Wir wollten Sie ja nehmen, aber die Kirchenleitung…

Du bist nicht mehr im Wartestand!, sagt seine Frau, geh’ zur Kirchenleitung, hau’ auf den Tisch, wie du das früher getan hast.

Pfarrer Gartenschläger tut das nicht. Der große Blonde traut sich’s nicht. Er stirbt an einem Herzinfarkt.

Auf der Beerdigung beten sie das Vaterunser. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

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