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Moderne Zeugung. Bei der künstlichen Befruchtung wird ein Spermium unter dem Mikroskop in eine Eizelle injiziert. In diesen Embryonen könnten Forscher vor der Einpflanzung in den Mutterleib nach schweren Erkrankungen suchen, falls der Gesetzgeber das zulässt. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Präimplantationsdiagnostik: Eingeschränkt erlauben

Deutsche Wissenschaftsakademien befürworten Präimplantationsdiagnostik. Das Verfahren könnte helfen, Abtreibungen zu vermeiden.

Selten hat ein medizinisches Diagnoseverfahren für so viel Wirbel gesorgt wie die Präimplantationsdiagnostik (PID). Das Verfahren ermöglicht es, befruchtete Eizellen, die mit künstlicher Befruchtung außerhalb des weiblichen Körpers erzeugt wurden, auf Erbkrankheiten und Chromosomenstörungen zu untersuchen. Die PID wurde im Juli 2010 vom Bundesgerichtshof als mit dem Embryonenschutzgesetz „prinzipiell vereinbar“ erlaubt. In diesem Jahr wird sie im Deutschen Bundestag wohl zu heftigen Debatten führen. Mit drei Gesetzesanträgen ist zu rechnen, jeder von ihnen wird von Abgeordneten mehrerer Parteien unterstützt. Für die Parlamentarier ist es eine Gewissensentscheidung.

Gestern legten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) nun in einer ad-hoc-Stellungnahme ihre Sicht der PID vor. Zur Arbeitsgruppe, die vom Mediziner Hans-Peter Zenner, Präsidiumsmitglied der Leopoldina, geleitet wird, gehören auch Genetiker, Entwicklungsbiologen, Juristen und Ethik-Experten.

Die Wissenschaftler sprechen sich für eine begrenzte Zulassung des Diagnoseverfahrens aus, mit der eine Gesetzeslücke im deutschen Recht geschlossen werden müsse. Ein Verbot der PID würde ihrer Ansicht nach unweigerlich zu einem Wertungswiderspruch führen. Denn der Abbruch einer Schwangerschaft wird nach geltendem Recht bis zur 12. Woche nicht bestraft. Auch Spätabtreibungen sind möglich. So beendeten im Jahr 2009 237 Frauen ihre Schwangerschaft nach der 22. Schwangerschaftswoche. Auch eine vorgeburtliche Untersuchung von Zellen und Gewebe des Embryos, der sich schon im Mutterleib eingenistet hat, („Pränataldiagnostik“) ist schon seit Jahrzehnten möglich und wird Frauen ab 35 von den Krankenkassen bezahlt. In Zukunft wird man wohl auch im Blut der Schwangeren nach genetischem Material des Ungeborenen suchen können.

Der Gesetzgeber habe hier schon vor Jahren „wertende Entscheidungen getroffen, die dem Bürger statt einer einfachen Alles-oder-Nichts-Entscheidung eine differenzierte persönliche Gewissensentscheidung erlauben, aber auch abverlangen“, schreiben die Autoren des Papiers. An diesem Standard müsse sich auch ein neues Gesetz zur PID orientieren. Die PID könne unter diesen Umständen auch als Beitrag zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen betrachtet werden. Eine Polkörperdiagnostik, mit der allein das Erbgut der Mutter vor der Kernverschmelzung betrachtet werden kann, sei nicht gleichwertig.

In Deutschland soll die PID der Empfehlung zufolge nur Paaren ermöglicht werden, deren Nachwuchs „ein hohes Risiko für den Ausbruch einer bekannten und schwerwiegenden monogenen Krankheit oder einer erblichen Chromosomenstörung“ trägt, oder bei denen mit Tot- oder Fehlgeburten zu rechnen ist. Rund 3500 Erkrankungen dieser Art sind in der Medizin heute bekannt, alle sind sie extrem selten. Auf eine Liste von Krankheiten, bei denen die PID erlaubt sein soll, sollte der Gesetzgeber nach Ansicht der Arbeitsgruppe verzichten. Ob sie wegen einer bekannten Belastung auf ein eigenes Kind verzichten wollten, könnten nur die Paare selbst entscheiden.

Die Möglichkeit, in solchen Fällen eine PID in Deutschland machen zu lassen, könne zudem auch dem „Medizintourismus“ ins benachbarte Ausland Einhalt gebieten. Derzeit reisen in jedem Jahr rund 100 deutsche Frauen für eine PID nach Belgien. Um die Zahl der in Deutschland zu erwartenden Untersuchungen abzuschätzen, orientieren sich die Verfasser der Akademien-Stellungnahme an Großbritannien, wo die PID streng reguliert ist. Dort wurden im Jahr 2008 214 Untersuchungen vorgenommen. Für Deutschland rechnen die Verfasser jährlich mit einigen Hundert Untersuchungen. Weltweit werden sie augenblicklich nur bei einem Bruchteil aller Behandlungen zur In-vitro-Befruchtung (IvF) angewendet: Im Jahr 2006 standen 600 000 IvF-Behandlungen 1876 PID gegenüber.

Dass die Methode genutzt werden könnte, um die vielzitierten „Designerbabys“ zu zeugen, halten die Experten der Akademien für abwegig, wegen der Hürden der IvF, aber auch wegen der „untersuchungstechnischen Unmöglichkeit einer Selektion nach komplexen Merkmalen wie Schönheit oder Intelligenz“. Das Geschlecht eines Embryos dürfe allenfalls bestimmt werden, wenn ein genetischer Bezug zur gesuchten Krankheit bestehe. Auch eine Untersuchung auf Verdacht, die sich auf nicht erbliche Chromosomenstörungen bezieht, ein Aneuploidie-Screening, soll es in Deutschland nach Auffassung der Wissenschaftler nicht geben.

Nach ihren Vorstellungen soll eine Sachverständigenstelle benannt werden, die Richtlinien zur Durchführung der PID erlässt, jeden einzelnen Antrag prüft und ein zentrales Register aufbaut. Die Untersuchungen sollen nur an wenigen, von dieser Stelle benannten Einrichtungen erfolgen. Methodisch muss gewährleistet sein, dass bei einer PID nur Zellen des Embryos untersucht werden, die nicht mehr die Fähigkeit zur Entwicklung eines Organismus enthalten. Das ist ab dem vierten Tag nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der Fall. Neben einem PID-Gesetz und einer möglichen Änderung des Gendiagnostikgesetzes hält die Akademien-Arbeitsgruppe auch die Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Fortpflanzungsmedizin für sinnvoll.

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