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Außenaufnahme der Moschee in Berlin-Wilmersdorf.

© imago stock and people/Sven Lambert

Diversität in der Weimarer Republik: Jüdisch-muslimische Symbiose im Berlin der 1920er Jahre

Zwischen Moschee und dem „Roten Club“ der Frauen: Eine Münchner Tagung beleuchtete überraschende Seiten der jüdisch-muslimischen Beziehungen in Deutschland.

Er nannte sich Hugo „Hamid“ Marcus. Der 1880 in Posen geborene homosexuelle Schriftsteller jüdischer Herkunft kam 1903 nach Berlin, studierte bei Wilhelm Dilthey und Georg Simmel. In dieser Zeit befreundete er sich mit dem skandalumwitterten Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld, schloss sich aber auch dem elitären George-Kreis an. Marcus publizierte philosophische und esoterische Bücher – und konvertierte Anfang der Zwanzigerjahre zum Islam, ohne allerdings seine Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde aufzugeben.

Unter seinem neuen Beinamen  „Hamid“ leitete er die „Moslemische Revue“ und entwarf eine homosexuelle islamische Theorie, die sich angeblich an Goethe orientierte. Gleichzeitig war Marcus Geschäftsführer der 1928 eröffneten Moschee Ahmadiyya Lahore, der ersten Moschee in Berlin und Deutschland. Seinen Vorträgen an den „Islamabenden“ lauschten auch Hesse und Thomas Mann. Die Moschee, ein hübscher Bau mit zwei 30 Meter hohen Minaretten in der Brienner Straße in Wilmersdorf, war in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren ein Laboratorium vor allem für Migranten, die den Islam reformieren wollten - oder gleich eine Religion der Zukunft und einen Neuen Menschen erschaffen.

Solche faszinierenden Einblicke in die muslimisch-jüdische Verflechtungsgeschichte eröffnete jetzt die Tagung „Juden und Muslime in Deutschland von frühen 19. Jahrhundert bis heute“ in München. Ihr Anspruch war es, die Schnittstellen der jüdisch-muslimischen Geschichte in Deutschland wieder zu entdecken, die heute weitgehend vom Nahost-Konflikt überschattet wird, wie die Wuppertaler Historikerin Sabine Mangold-Will hervorhob.

So prägten etwa am Übergang vom 19. zum frühen 20. Jahrhundert jüdische Wissenschaftler die deutsche Orientalistik: Der gebürtige Frankfurter Abraham Geiger brachte die erste historisch-kritische Untersuchung des Korans heraus, der Sulzburger Gustav Weil, ab 1845 erster jüdischer Professor in Deutschland, legte den Grundstein für die Orientalistik, während der in Österreich-Ungarn geborene Ignaz Goldziher als einer der Begründer der Islamwissenschaften gilt.

Aus Pommern stammte der erste Inhaber eines deutschen Orientalistik-Lehrstuhls, der die Judaistik ausdrücklich einschloss, Josef Horovitz. Ab 1915 lehrte Horovitz in Frankfurt; parallel dazu war er ab 1918 auch im Kuratorium der Hebräischen Universität in Jerusalem. Im Gegensatz zum kolonial geprägten Blick vieler christlicher Kollegen gingen die jüdischen Orientalisten von einer Gleichwertigkeit der Zivilisationen in West und Ost aus.

Die Erlangener Religionshistorikerin Gerdien Jonker konnte anhand von Privatarchiven und Fotosammlungen einen tieferen Blick in die Geschichte der Wilmersdorfer Moschee-Gemeinde werfen, in der sich Lebensreformer, Revolutionäre, Künstler, Theosophen und Homosexuelle trafen. Im damals migrantisch geprägten Stadtteil Wilmersdorf fanden sich Muslime aus Ägypten, Persien, Indien und dem Kaukasus, aber auch reformorientierte russische und deutsche Juden unter dem Dach des islamischen Modernismus zusammen.

Gruppenbild mit kostümierten Menschen.
Anziehend. Ein Kostümfest im Institut für Sexualwissenschaft, das Anfang der 20er Jahre zum Treffpunkt für Intellektuelle weit über Berlin hinaus wurde.

© Archiv der Magnus Hirschfeld-Gesellschaft e.V.

Eingebettet waren diese Minderheiten der Weimarer Gesellschaft in ein dichtes Netz aus jüdischen und „orientalischen“ Institutionen, Restaurants, Kinos, Musikclubs und anderen Treffpunkten in der direkten Umgebung. Gandhi-Anhänger, Perser und Juden engagierten sich gemeinsam gegen den Kolonialismus; im „Roten Club“ trafen sich muslimische und jüdische Frauen, die die Beziehungen der Geschlechter ganz neu regeln wollten. Nach 1933 wurde die Moschee-Gemeinde von den Nationalsozialisten vereinnahmt, die dort Auftritte mit dem antisemitischen Jerusalemer Großmufti Mohammed Amin al-Husseini inszenierten. Unter der Hand half man jedoch Gemeindemitgliedern wie Hugo Marcus und anderen Juden bei der Flucht ins Ausland, wie Gerdien Jonker berichtete.

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Zwischen den Stühlen saß in der NS-Zeit auch der bereits hochbetagte Orientalist und ehemalige Außenminister der Weimarer Republik Friedrich Rosen. Der Spross einer westfälischen Orientalisten-Dynastie und Enkel des bekannten britisch-jüdischen Pianisten Ignaz Moscheles war gebürtiger Leipziger, hatte aber seine Kindheit in Jerusalem verbracht und bereits früh das Persische erlernt, das im Nahen Osten und bis nach Indien lange als lingua franca galt.

Als Diplomat im Orient übersetzte er Lyrik aus dem Persischen und veröffentlichte wissenschaftliche Beiträge. Bereits seit 1900 wegen seiner antikolonialen Einstellung von Alldeutschen-Kolonialisten angefeindet, wurde Rosen 1933 die Ministerrente gestrichen und vom Vorsitz der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft entfernt. Seinen Werdegang zeichnete in München Amir Theilhaber nach, derzeit Fellow am Washingtoner Deutschen Historischen Institut.

1935 besuchte Rosen, schockiert von den politischen Morden in Deutschland, seinen Sohn Georg, der ebenfalls Diplomat war, in Peking und starb dort an einem Aneurysma. Bei der Münchner Tagung waren auch Nachfahren Friedrich Rosens aus Deutschland und England anwesend. Bis heute wartet die Familie vergebens auf eine Entschuldigung offizieller Stellen in Deutschland.

Judith Leister

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