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Berlin: An die Zwischendecke gegangen

Über das Gerichtsurteil zum Hauptbahnhof wird gestritten – im Internet und auf dem Bahnsteig

Alle reden von der Zwischendecke. Bahnchef Hartmut Mehdorn schimpft nach dem Urteil über den millionenteuren „Egotrip“ des Meinhard von Gerkan. Der vor Gericht siegreiche Architekt gibt zurück, dass sich die Bahn „übelster Methoden der Täuschung“ bediene und ihm noch nicht einmal sein Honorar pünktlich zahle. Und in Internetforen diskutieren Freunde von flacher und gewölbter Decke so leidenschaftlich, als ginge es um die Rettung der abendländischen Kultur: „Endlich widerspricht ein Gericht der kurzfristigen Krämerlogik heutiger ’Entscheider’!“, schreibt einer. „Hat denn in diesem Land niemand mehr genug gesunden Menschenverstand, um einen Bahnhof als das zu betrachten, was er ist: ein Zweckbau?“, kontert ein anderer. Gründe genug für einen Ortstermin.

Wenn der Hauptbahnhof das Raumschiff ist, das Kritiker ihn nennen, dann ist sein Landeplatz von Süden her auch ein halbes Jahr nach der Eröffnung noch gut erkennbar: diese asphaltierte Weite vor dem Südeingang, öde wie am ersten Tag. Kein Grün, keine Bank, ja nicht einmal die dringend benötigten Fahrradständer. Doch in der Halle funkeln die Swarovski- Klunker vom künstlichen Christbaum in der unermüdlichen Novembersonne. Unterm Glasdach dominiert längst die Architektur des Kommerzes: McDouglasrossmannkamps2000 – alle Ketten sind schon da. Auf einem Vorsprung liegt Taubendreck. Das Raumschiff ist voll integriert.

Oben schweben Bahn-Rumoren, Gespräche, Handyklingeln und Kofferrollen als summende Wolke. Auf der Rolltreppenfahrt nach unten aber wird es still, wenn gerade kein Zug einfährt. Etwa ab Höhe des corpus delicti, jener nunmehr flachen Zwischendecke also, herrscht beinahe kathedralenhafte Ruhe. Vielleicht genau so, wie es dem Architekten vorschwebte, der ein Gewölbe wollte. Ein bläulicher Schein in den Ovalen der Tragsäulen soll Tageslicht simulieren – eine Idee, die Bahnleute kurz vor der offiziellen Eröffnung als Attraktion priesen. Doch in der Summe dominiert das gelbliche Neonlicht. „Schmuddlige Lichtsoße“ hat von Gerkan das einst genannt.

Auf einem Bahnsteig steht ein älteres Ehepaar und schaut nach oben. Sie sind Berliner, aus Friedenau, zum ersten Mal hier. „Der Bahnhof ist fantastisch“, sagt der Mann. „So transparent, so großzügig.“ „Weltstädtisch“, sekundiert seine Frau. Und die Zwischendecke? „Unmöglich“, sagen beide. Soll man sie also herausreißen? Sie sind unschlüssig. Aber dieser Bahnhof habe Besseres verdient.

Ein weißhaariger Mann fährt die Rolltreppe herunter: Günter Dallmann aus Stralsund, „auch aus der Baubranche und bahnhofsmäßig mal in Berlin gearbeitet“, 1988. „Wenn das mein Objekt ist, kann der Bauherr das doch nicht einfach ändern“, knurrt er und schlägt dabei die rechte Faust in die linke Handfläche. „Das mit dem Gewölbe sieht schon schöner aus.“ Also umbauen, für bis zu 40 Millionen? Er lacht. Und schweigt. Dafür nimmt ein zufällig Hinzugekommener das Wort: „Die Ellipsen oben an den Pfeilern sind zu kahl. Es würde schon reichen, da beispielsweise eine gläserne Rosette draufzusetzen.“ Aber umzubauen, „wäre Irrsinn“.

„Irrsinn“, sagt auch Gerhard Hilsmann aus Dortmund. „So schlecht ist die Decke wirklich nicht. Mir wären pünktliche Züge wichtiger“, sagt er. Eine Frau kommt vorbei, nickt. „Wenn sie schon was ändern, dann sollen sie lieber oben das Glasdach verlängern.“ Thomas Gerner aus dem Badischen betrachtet die Decke. „Wenn ich von der Debatte nichts wüsste, fände ich sie akzeptabel.“ Umbauen würde er nicht, allenfalls einen Kompromiss entwerfen – eine Flachdecke mit Lücken fürs Tageslicht etwa. Dann kommt sein Zug. Das Quietschen beendet die kathedralenhafte Stimmung.

Wer mitdiskutieren will:

www.tagesspiegel.de/themen

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