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Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys waren mit dem Programm „Es leuchten die Sterne“ im Nikolaisaal zu Gast.

© Andreas Klaer

Ulrich Tukur eskaliert den Nikolaisaal Potsdam: Zwischen erzwungenem Ernst und ausgelassener Albernheit

Der preisgekrönte Schauspieler zeigt als Musiker mit den Rhythmus Boys seine dadaistische Seite: mit Lyrik, Slapstick und Running Gags.

Von Oliver Köhler

Ja, die Band des vielfach preisgekrönten Schauspielers Ulrich Tukur heißt tatsächlich: Die Rhythmus Boys. Am Donnerstagabend gastierten sie live im Nikolaisaal. Aber was heißt schon Boys, wenn man auch im gehobenen Alter das Leben zelebrieren kann? Darum sollte es an diesem Abend explizit gehen: „Depression hin oder her – Hauptsache gute Laune!“, posaunt Tukur das Motto des Abends heraus, und die Band kippt fast in Richtung Guildo Horn und die Orthopädischen Strümpfe.

Es sollte auch ein Abend gepflegter Albernheiten werden. Das ist schon klar, als die Rhythmus Boys zu Zirkusmusik winkend auf die Bühne stolpern. „Tausend Takte Tanz!“, raunt Tukur den Opener ins Mikro, schwingt sich an den Flügel, die Alliterationskapelle legt los. Vier Boys in nicht ganz sitzenden Anzügen, die mit auferlegter Gleichgültigkeit einen Kracher nach dem anderen rausballern. Kein Wunder, die Band spielt schon seit 1995.  

Depression hin oder her – Hauptsache gute Laune!

So formuliert Ulrich Tukur das Motto des Abends im Nikolaisaal

Tukur mit leichtfingriger Eleganz am Flügel, Gitarrist Ulrich Mayer mit Specktolle, Hornbrille und bewusst verkniffener Performance, und dazu Kalle Mews virtuos am Schlagzeug und der doppelt so große Günter Märtens am Kontrabass – später werden die beiden Letztgenannten noch tanzen. Tukur hätte den Abend auch alleine am Flügel geschmissen, keine Frage, aber dieses Zusammenspiel aus Running Gags, erzwungener Ernsthaftigkeit, Albernheiten und einzigartiger Tanzmusik lässt den Abend regelrecht eskalieren.

Musikalische Verzauberung, lyrische Apotheose

„Nach der musikalischen Verzauberung folgt die lyrische Apotheose“, verkündet Tukur gestenreich, und auf seine „nasse Lyrik“ ist Verlass. Rilkes „Panther“ kommt ebenso vor wie eine selbst geschriebene Hommage an das nächtliche Berlin, Wilhelm Busch und Shakespeare. Und dann zurück zur Musik: Immer wieder weben seine Boys den musikalischen Teppich, den Tukur mit Klavierspiel und seiner Stimme abschreiten kann.

Das ist schon hohe Kunst – aber wirklich ernst nimmt sich keiner. Tukur schon gar nicht. Der nutzt das Mikrofon, um kafkatukureske Fake-Autobiografien zu entwerfen: wie er 1925 in Bielefeld bei Dr. Oetker in der Backpulverabteilung tätig gewesen sei und dadurch Cole Porter kennengelernt habe. Überhaupt, Dr. Oetker: Backpulver habe er ja damals selbst entdeckt, als er einen Koprolithen („das ist versteinerte Scheiße aus einer gigantischen Dinosauriertoilette“) gefunden habe, der zudem sein eigenes Altern verzögere. Das ist so dadaistisch, dass selbst Tukur Mühe haben muss, ernst zu bleiben.

Zwei Stunden dauert der hinreißend-schmissige Abend. Es fühlt sich viel kürzer an. Das Quartett hat den Slapstick so perfektioniert, dass Tukurs scheinbar improvisiertes Gequatsche dazu in absolutem Gegensatz steht – und gerade dadurch funktioniert es. Als Zugaben gibt es die Rolling Stones und Hans Albers – als ob die jemals hintereinander gespielt worden wären! Witziger kann es dieses Jahr nicht mehr werden.

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