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Immer mehr Potsdamer sind armutsgefährdet, auch die Tafel spürt immer größeren Andrang.

© PNN / Ottmar Winter / Ottmar Winter

Armut in Potsdam : „In der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Bei einer Diskussion in der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung wurde deutlich: Armut greift immer stärker um sich. Sozialverbandsvertreter fordern schnellere finanzielle Hilfen für Armutsbetroffene.

Das Zitat hat es in sich: „Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – auch in Potsdam!“ Franziska Löffler weiß, wovon sie redet. Die Leiterin des Büros Kinder(ar)mut der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt (Awo) berichtete in dieser Woche bei einer Diskussion über „Armut in Deutschland und ihre Folgen“ in der Landeszentrale für politische Bildung. „Wir merken einen Anstieg bei der Nachfrage unserer sozialen Angebote überdimensional“, so Löffler. Das Büro Kinder(ar)mut fördert gezielt bedürftige Kinder und Jugendliche und betreut Familien mit Hilfebedarf mit unterstützender Beratung in allen Stadtteilen.

Armut greife immer mehr in der Stadtgesellschaft um sich, so Löffler. „Die Krisen der letzten Jahre machen sich bemerkbar“, verweist die Kinder(ar)mut-Leiterin auf Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekosten-Steigerung, Mietenexplosion und Inflation. Immer mehr Familien mit Doppeleinkommen seien armutsgefährdet, weil die Gehälter nicht mit den Preissteigerungen Schritt hielten. Seien in den Vorjahren ausschließlich bestimmte Stadtgebiete, vor allem südlich der Havel, Armutsschwerpunkte gewesen, steige nun auch in privilegierteren Wohngebieten der Anteil der Menschen, die Sozialleistungen benötigen.

Treppenhäuser im Hauptbahnhof als Schlafplatz

Deutlich sichtbar sei die Zunahme der Armut in der Stadt am Hauptbahnhof, wo Löfflers Büro Kinder(ar)mut seinen Sitz hat. In den Treppenhäusern zu den Büroetagen sehe sie bei Arbeitsbeginn häufiger als früher Schlafsäcke, Essensüberreste und auch Exkremente – deutliche Zeichen, dass Obdachlose die Treppenhäuser als Übernachtungsplatz nutzen. „Man kann sehen, dass sich die Situation vor allem im letzten Jahr verschärft hat.“

Die Krisen der letzten Jahre machen sich bemerkbar. Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – auch in Potsdam!

Franziska Löffler, Leiterin des „Awo-Büros Kinder(ar)mut“

Die Armutszahlen steigen deutschlandweit seit Jahren, bestätigt im Laufe der Diskussion auch Andreas Kaczynski, Vorstand beim brandenburgischen Sozialverband „Der Paritätische“. Auf 16,9 Prozent stieg die Armutsquote, 14,1 Millionen Deutsche müssen derzeit zu den Armen gerechnet werden, mehr als 600.000 Menschen mehr als im Vorjahr. Als arm gelten jene Menschen, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegen. Dem Armutsbericht liegt also das Konzept relativer Einkommensarmut zugrunde. Das heißt konkret: Wer weniger als etwa 1150 Euro als Einzelperson oder etwa 2400 Euro als Familie mit zwei Kindern im Monat zur Verfügung hat, gilt als armutsgefährdet.

Allerdings: Brandenburg zählt zu den nur noch vier Bundesländern, in denen es unterdurchschnittliche Armutsquoten gibt, also die Landesarmutsquote unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Auffällig dabei: Die Mark ist das einzige ostdeutsche Bundesland, die drei weiteren Länder mit geringeren Armutsquoten sind die industriellen Schwergewichte im Südwesten Deutschlands: Bayern und Baden-Württemberg sowie der norddeutsche Leuchtturm Schleswig-Holstein.

Franziska Löffler, Leiterin des „Awo-Büros Kinder(ar)mut“.
Franziska Löffler, Leiterin des „Awo-Büros Kinder(ar)mut“.

© Andreas Klaer

Das liege zum einen an besseren Voraussetzungen als in anderen Bundesländern, so Kaczynski. Nicht zuletzt sei Brandenburg eine Metropolregion mit der Bundeshauptstadt Berlin. Aber man habe endlich auch „personalintensive Ansiedlungen“ erreicht, also Industrien, die viele Arbeitsplätze auf einen Schlag benötigen. Dass die brandenburgische Wirtschaft um 3,3 Prozent gewachsen ist, fast doppelt so viel wie der gesamte Bundesdurchschnitt von 1,8 Prozent, habe seinen Teil dazu beigetragen, so Kaczynski, der dabei „nicht nur von einem Tesla-Faktor“ sprechen wollte. „Das Land hat sicherlich auch einiges richtig gemacht bei der Ansiedlungspolitik“, so der Sozialverbandsvertreter.

14,8
Prozent betrug die Armutsquote in Brandenburg im Jahr 2021

Doch auch in der Mark steigt die Armutsquote an: Die Kennziffer für das letzte erhobene Jahr 2021 wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 0,5 Prozent auf 14,8 Prozent an. Das bedeutet auch mehr Druck auf die Behörden, bei denen sich Betroffene um soziale Unterstützungen bemühen können. Franziska Löffler berichtete von oft monatelangen Wartezeiten und Bearbeitungsstau auch in Potsdamer Ämtern. „Betroffene, in unserem Fall Familien, müssten selbst in finanzielle Vorleistung gehen, um Leistungen in Anspruch zu nehmen.“ Den finanziellen Hintergrund hätten die Betroffenen aber fast immer nicht. Dabei schreibe selbst das Sozialgesetzbuch vor, Anträge innerhalb von vier Wochen zu bearbeiten.

Die Potsdamer Kinder(ar)mut-Leiterin fordert daher, dass bei Bearbeitungsstau das Geld nach vier Wochen gezahlt wird, auch wenn der Antrag noch nicht bearbeitet werden konnte. Außerdem hofft Löffler, dass Brandenburg und Potsdam beim Beantragen von Leistungen auf das Ein-Tresen-Prinzip umstellen. Für soziale Leistungen gebe es bislang zu viele unterschiedliche Behörden, „das ist für uns Berater schon herausfordernd“. Für viele Betroffene sei es aber überfordernd, weiß die Leiterin des Awo-Büros Kinder(ar)mut. Schließlich brauche Potsdam viel mehr sozialen Wohnungsbau, um den angespannten Mietwohnungsmarkt zu entlasten. Und dieser Sozialwohnungsbau muss in allen Stadtteilen stattfinden, um stärker zu durchmischen.

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