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„Urlaub zu Hause ist Balkonien und Spielplatz“, sagt Potsdams Jugendkoordinatorin Stefanie Buhr.

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Balkon statt Ostsee: Wie es armen Potsdamer Familien in den Ferien geht

Die Sommerferien lassen die finanziellen Unterschiede in der Landeshauptstadt besonders deutlich hervortreten. Was soziale Akteure jetzt fordern.

Eine Woche Theaterspielen für 245 Euro, Windsurfen für 430 Euro oder Experimente durchführen für 295 Euro? Während manche Potsdamer Familien für ihre Kinder ein sportliches oder künstlerisches Ferienprogramm zusammenstellen, sind solche Preise schon für Durchschnittsverdiener eine Belastung. Für arme Familien sind sie unbezahlbar. Urlaub an der Ostsee, in Italien oder Mallorca? Für einen Teil der Potsdamer liegt das weit außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. „Wir brauchen uns nichts vormachen, die Inflation ist nach wie vor hoch“, sagt Stefanie Buhr, Koordinatorin für Kinder- und Jugendinteressen der Stadt Potsdam. „Die gestiegene Unsicherheit führt dazu, dass sich einkommensschwache Familien kaum noch bewegen können.“

An Reisen sei für viele nicht zu denken. „Urlaub zu Hause ist dann Balkonien und Spielplatz“, beschreibt Buhr. Das gehe mit einer Stigmatisierung einher. „Wenn alle Kinder in der Klasse erzählen, wohin sie fahren, wird das Kind, das zu Hause bleibt, sich nicht trauen, den Mund nicht aufmachen.“ Immer mehr Familien in Potsdam rutschten in ein prekäres Einkommen. Auch seien bestehende Förderprogramme nicht ausreichend bekannt - oder die Anträge zu komplex. „Das Ziel muss es sein, den Familien eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dafür wird zu wenig getan.“

Stefanie Buhr, Koordinatorin für Kinder- und Jugendinteressen in Potsdam.
Stefanie Buhr, Koordinatorin für Kinder- und Jugendinteressen in Potsdam.

© Andreas Klaer/PNN

Starke Segregation

In Potsdam bezogen laut Armutsbericht 2020 mehr als 4000 Kinder Leistungen aus dem Paket Bildung und Teilhabe. Die Segregation, die geografische Trennung zwischen Arm und Reich, ist in der Landeshauptstadt besonders ausgeprägt: Galten bei der Erhebung in den nördlichen Ortsteilen wie Fahrland und Groß Glienicke acht Prozent der Bewohner als armutsgefährdet, sind es im Potsdamer Süden mit Schlaatz, Stern, Waldstadt und Drewitz 23 Prozent. Pandemie und Inflation dürften diese Zahlen weiter erhöht haben.

Was es im Alltag bedeutet, nur wenig Geld zur Verfügung zu haben, sieht Christoph Olschewski täglich. Er leitet die Arche in Drewitz, die mit 130 Kindern und 40 Jugendlichen in Kontakt ist. „Zu uns kommen überproportional viele Kinder aus Familien, für die kein Urlaub drin ist“, sagt Olschewski. „Es gibt Kinder, die leiden darunter. Andere freuen sich über das, was schön ist.“ Viele Eltern täten alles für sie mögliche, um den Kindern trotzdem schöne Ferien zu gestalten. „Dann fährt man eben zur Tante nach Cloppenburg“, so Olschewski.

Christoph Olschewski leitet die Potsdamer Arche.
Christoph Olschewski leitet die Potsdamer Arche.

© Andreas Klaer

Doch auch wenn viele versuchten, das Beste aus der Situation zu machen, bleibe die Lage schwierig. „Viele Familien schlagen Alarm, weil das Geld nicht reicht und sie keine Rücklagen haben“, sagt Olschewski. Die Einführung des Bürgergeldes und die Wohngeldreform habe spürbar Geld in die Familienkassen gebracht - doch das fresse die Inflation wieder auf. Deshalb macht sich Olschewski für die Kindergrundsicherung stark.

Auch auf kommunaler Ebene könnten armutsbetroffenen Familien unterstützt werden. „Ich plädiere für ein konsequenzfreies Fahren ohne Fahrschein für Kinder und Jugendliche in diesen Sommerferien im Potsdamer Nahverkehr“, sagt Olschewski. Wer schwarz fährt, soll nicht sanktioniert werden. Es gebe im Stadtgebiet durchaus günstige oder kostenlose Ferienangebote. Doch um dort hinzukommen, brauche es Tickets - die für viele zu teuer sind.

Ich plädiere für ein konsequenzfreies Fahren ohne Fahrschein für Kinder und Jugendliche in den Sommerferien im Potsdamer Nahverkehr.

Christoph Olschewski, Leiter der Arche

Dieses Problem bestätigt auch Angela Schweers, Chefin der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt (Awo). Doch im geduldeten Schwarzfahren sieht sie das falsche Signal für die Kinder. Stattdessen regt sie ein kostenloses Ferienticket an. Auch brauche es mehr erschwingliche Ferienlager und ein Programm mit Ausflügen in die nähere Umgebung, Arbeitstitel „Ferien ohne Koffer“. Zudem fordert Schweers, bei Ferienangeboten eine bestimmte Anzahl von Plätzen für armutsbetroffene Kinder kostenlos vorzuhalten. Damit die Ungleichheit in den Ferien nicht noch stärker wird.

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