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Gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hat der Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs einen Haftbefehl beantragt.

© dpa/Ohad Zwigenberg

„Täter-Opfer-Umkehr“: Kritik aus Deutschland an Antrag auf Haftbefehl gegen Netanjahu

In Deutschland fällt die Kritik am Vorgehen des Haager UN-Gerichts im Gaza-Krieg deutlich aus, etwa bei SPD-Außenpolitiker Michael Roth. Anders in Frankreich.

Der Antrag des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) auf einen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ist in Deutschland auf deutliche Kritik gestoßen. Er sehe die Entscheidung des Chefanklägers „sehr kritisch und kann sie nicht nachvollziehen“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), dem Tagesspiegel.

„Der Chefankläger leistet der grassierenden Täter-Opfer-Umkehr Vorschub“, sagte Roth weiter. Gleichzeitig bleibe der Internationale Strafgerichtshof „eine bedeutende Errungenschaft, die unsere Unterstützung verdient“, betonte Roth.

Zuvor hatte der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen Verteidigungsminister Joaw Galant sowie drei Hamas-Vertreter wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen beantragt.

Ob tatsächlich entsprechende Haftbefehle erlassen werden, muss nun durch eine Vorverfahrenskammer des Internationalen Strafgerichtshofs mit drei Richtern entschieden werden. Die Vollstreckung solcher Haftbefehle, wie er beispielsweise vom IStGH ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges gegen Russlands Präsident Wladimir Putin erlassen wurde, obliegt im Fall einer Einreise der Gesuchten den Vertragsstaaten des Gerichtes. Zu ihnen zählt auch Deutschland.

„Ich halte den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls durch den Chefankläger des IStGH für hochproblematisch und hoffe, dass der IStGH dem nicht folgt“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadephul (CDU). Aus seiner Sicht werte der Internationale Strafgerichtshof „das legitime Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen einen menschenverachtenden und nach wie vor anhaltenden Terrorangriff deutlich zu gering“, sagte der CDU-Politiker weiter.

„Der IStGH und sein Chefankläger müssen wissen, dass solche Schritte hochpolitisch sind“, sagte Wadephul weiter. Erst recht hätte der Antrag auf Haftbefehl gegen Netanjahu und seinen Verteidigungsminister nicht zeitgleich mit dem gegen den Hamas-Führer gestellt werden dürfen. „Das ist jedenfalls faktisch eine Gleichbehandlung, die unter keinen Umständen akzeptabel ist“, kritisierte er.

„Unzutreffender Eindruck einer Gleichsetzung“

In Berlin sagte ein Regierungssprecher angesichts des Antrags auf Haftbefehl gegen die israelischen Amtsträger, dass die Bundesregierung „jeden Anschein von Vergleichbarkeit auf das Entschiedenste“ zurückweise. „Die Bundesregierung hat stets betont, dass Israel das Recht hat, sich im Einklang mit dem Völkerrecht gegen die mörderischen Angriffe der Hamas zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund wiegen die Vorwürfe des Chefanklägers schwer und müssen belegt werden“, sagte der Sprecher dem Tagesspiegel weiter.

Deutschland gehe zudem davon aus, dass vor dem Internationalen Strafgerichtshof maßgeblich berücksichtigt werde, dass Israel ein demokratischer Rechtsstaat mit einer starken, unabhängigen Justiz ist. 

Zuvor hatte sich auch das Auswärtige Amt in Berlin angesichts des Antrags des Haager Chefanklägers ähnlich positioniert. „Der Internationale Strafgerichtshof ist eine elementare Errungenschaft der Weltgemeinschaft, die Deutschland immer unterstützt hat“, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums. Deutschland respektiere seine Unabhängigkeit und seine Verfahrensabläufe wie die aller anderen internationalen Gerichte.

Anhänger der Hamas bei einer Kundgebung am vergangenen Wochenende in New York.

© AFP/John Lamparski

Allerdings sei durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite „der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden“, fügte er hinzu.

Israelische Geiseln weiter in Gefangenschaft

Nach den Worten des Außenamts-Sprechers verantworteten die Hamas-Führer „ein barbarisches Massaker, bei dem am 7. Oktober in Israel Männer, Frauen und Kinder auf brutalste Weise gezielt ermordet, vergewaltigt und verschleppt wurden“. Die Hamas halte weiterhin israelische Geiseln unter unsäglichen Bedingungen gefangen, greife Israel mit Raketen an und missbrauche die Zivilbevölkerung in Gaza als menschliche Schutzschilde.

Nach der Auffassung des Auswärtigen Amts habe die israelische Regierung das Recht und die Pflicht, ihre Bevölkerung davor zu schützen und dagegen zu verteidigen. „Klar ist, dass dabei das humanitäre Völkerrecht mit all seinen Verpflichtungen gilt.“

Der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, forderte die israelischen Behörden auf, selbst Untersuchungen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Völkerrecht im Krieg im Gazastreifen aufzunehmen. „Die israelischen Behörden können nun selbst Ermittlungen aufnehmen – denn die Ermittlungen des IStGH sind nachrangig zu einer nationalen Untersuchung“, sagte Schmid der Nachrichtenagentur Reuters. Hinweisen auf mögliche Kriegsverbrechen sollten die israelischen Behörden nachgehen.

Keine Zustimmung von US-Präsident Biden

Anfang des Monats hatte das US-Außenministerium erklärt, von mehreren glaubwürdigen UN- und Nichtregierungsquellen Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen durch israelische Streitkräfte im Gazastreifen erhalten zu haben. Allerdings stieß das Vorgehen des Internationalen Strafgerichtshofs in den USA auf scharfe Kritik. US-Präsident Joe Biden erklärte, er sei „empört“ über den Antrag auf Haftbefehle gegen die israelischen Amtsträger.

Bei der Einschätzung des Antrags von IStGH-Chefanklägers Khan tut sich unterdessen ein Dissens zwischen Deutschland und Frankreich auf. In Paris geht man mit der israelischen Regierung angesichts des militärischen Vorgehens im Gazastreifen sehr viel schärfer ins Gericht, als dies in Berlin der Fall ist.

Laut einem Kommuniqué des französischen Außenministeriums hieß es, dass Frankreich gegenüber Israel seit Monaten die Wahrung des humanitären Völkerrechts anmahne. Der Tod von Zivilisten im Gazastreifen und der unzureichende Zugang für humanitären Hilfe seien „inakzeptabel“, hieß es weiter.

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