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Beschädigtes Wahlplakat in Rostock.

© imago/Fotoagentur Nordlicht

Update

Starker Anstieg rechter Gewalt: Zahl politisch motivierter Straftaten erreicht neuen Höchstwert

Im vergangenen Jahr kam es zu einer deutlichen Zunahme politisch rechts motivierter Gewalttaten. Die Beratungsstellen rechnen mit einer weiteren Verschlechterung der Situation.

Die Zahl der polizeibekannten politisch motivierten Straftaten hat im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht. Die 60 028 erfassten Delikte stellen den höchsten Stand seit der Einführung der Statistik 2001 dar.

Das geht aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Statistik zur politisch motivierten Kriminalität 2023 hervor. Der Zuwachs gegenüber 2022 liegt bei weniger als 2 Prozent. In 3561 Fällen handelt es sich um Gewalttaten, knapp 12 Prozent weniger als 2022.

Den Löwenanteil der Straftaten machten mit einem Drittel Propagandadelikte aus, also zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es handelt sich bei der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität um eine Eingangsstatistik, das heißt, Taten werden dann erfasst, wenn sie der Polizei bekannt werden – es gibt also ein Dunkelfeld. Mehrfachzählungen sind möglich, wenn Delikte in mehr als eine Kategorie (Phänomenbereich) fallen.

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Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, erklärte: „Die politisch motivierte Kriminalität hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt und nimmt weiter zu.“

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In Teilen der Bevölkerung bestünden Radikalisierungstendenzen bis hin zur versuchten Delegitimierung des Staates und seines Gewaltmonopols. „Diese Entwicklung müssen wir sehr ernst nehmen, denn sie bedroht unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Frieden.“

Beratungsstellen melden starken Anstieg rechter Gewalt

Auch die Opferberatungsstellen in Deutschland haben im vergangenen Jahr eine deutliche Zunahme rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt verzeichnet. Der Verband der Beratungsstellen (VBRG) registrierte für 2023 insgesamt 2589 derartige Angriffe – gut ein Fünftel mehr als im Vorjahr, wie aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbilanz hervorgeht.

Vorstellung der Jahresstatistik 2023 zu rechter und rassistischer Gewalt sowie zum Anstieg insbesondere bei rassistisch und antisemitisch motivierten Gewalttaten am 21. Mai 2024 in Berlin.

© imago/epd/Christian Ditsch

In der Statistik sind allerdings nur elf von 16 Bundesländern berücksichtigt; nicht alle Länder stellten laut VBRG entsprechende Zahlen zur Verfügung.

Die Beratungsstellen zeigten sich besorgt über die Entwicklung. „Der Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Jahr 2023 hat zu einer dramatischen Ausweitung der Gefahrenzonen für viele Menschen geführt“, sagte VBRG-Vorstandsmitglied Judith Porath.

„Eine vielerorts unerträgliche Normalisierung von Antisemitismus, Rassismus und extrem rechter Ideologien belastet und verändert den Alltag sehr vieler Betroffener.“

Judith Porath, Vorstandsmitglied des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt VBRG e.V.

© imago/epd/imago/Christian Ditsch

Die Beratungseinrichtungen registrieren seit vielen Jahren rund ein Drittel mehr rechte Gewalttaten als die Strafverfolgungsbehörden und die Verfassungsschutzämter – die offizielle Statistik zur politisch motivierten Kriminalität will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstagnachmittag vorstellen.

Der VBRG kritisierte für 2023 „erneut eine gravierende Untererfassung rechter Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden – auch bei schweren Gewalttaten“.

Teilnehmer einer Demonstration in Dresden halten ein Schild mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz.

© dpa/Arno Burgi

Von den 2589 politisch rechts motivierten Angriffen waren laut Opferberatungsstellen insgesamt 3384 Menschen betroffen. Davon waren 585 Kinder und Jugendliche. Porath warnte, dass solche Gewalterfahrungen sehr schwere Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben können.

Sie nannte das Beispiel einer 14-Jährigen in Mecklenburg-Vorpommern, die von einem Mitschüler als Jüdin verächtlich gemacht und massiv geschlagen und getreten wurde.

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Rassismus sei bei mehr als der Hälfte der Fälle das dominante Tatmotiv gewesen. Bei antisemitisch motivierten Angriffen habe es einen „alarmierenden Anstieg“ um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr gegeben.

Starker Anstieg vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt

In die Jahresstatistik des Verbands flossen Angaben aus den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie aus Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ein. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern war demnach uneinheitlich, vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sei die rechte Gewalt 2023 deutlich gestiegen.

Gemessen an der Einwohnerzahl wurden die meisten rechten Gewalttaten in Berlin (8,20 pro 100.000 Einwohner), Sachsen-Anhalt (6,6 pro 100.000 Einwohner), Brandenburg und Hamburg (jeweils 5,2 pro 100.000 Einwohner) registriert – die wenigsten in Bayern (0,8 pro 100.000 Einwohner) und Baden-Württemberg (0,5 pro 100.000 Einwohner).

Der Angriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke sei nur die „Spitze des Eisberges“, sagte VBRG-Vorstandsmitglied Porath.

© dpa/Jan Woitas

VBRG-Vorstandsmitglied Porath äußerte die Befürchtung, dass die Zahlen weiter stiegen – insbesondere die Landtagswahlen dieses Jahr in drei ostdeutschen Bundesländern machten ihr „große Sorge“, betonte sie. „Wir rechnen natürlich damit, dass die Zahlen sich leider weiter erhöhen werden.“ Sie erwarte, „dass der Anstieg flächendeckend sein wird und sich durch alle Phänomenbereiche ziehen wird“. Der Angriff auf den sächsischen SPD-Europapolitiker Matthias Ecke sei nur die „Spitze des Eisberges“, sagte sie.

Der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, warf der AfD bei der Vorstellung der Jahresstatistik vor, der rechten Gewalt den Boden zu bereiten. „Zur Verrohung der politischen Kultur trägt leider die AfD in Deutschland ganz wesentlich bei – und das nicht nur im Netz, sondern auch auf den Straßen“, sagte Wagner.

In manchen Regionen habe die Partei bereits die „kulturelle Hegemonie“ errungen, die Zivilgesellschaft werde eingeschüchtert, betonte Wagner. In dieser Atmosphäre würden Rechtsextremisten ermutigt, Gewalttaten zu begehen. „Hier darf eine wehrhafte Demokratie nicht tatenlos zusehen.“ Der Gedenkstättenleiter forderte Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf, ein Verbot der AfD zu prüfen: Seiner Meinung nach spreche viel für ein solches Verbot.

Porath forderte ein entschlosseneres Eintreten von Justiz- und Regierungsseite gegen rechts – und beklagte oftmals schleppende Gerichtsverfahren bei Fällen rechter Gewalt. „Allzu oft fühlen sich die Betroffenen von den Institutionen des Rechtsstaats im Stich gelassen“, sagte sie. „Sie erleben eine große Diskrepanz zwischen den Versprechen der Politik und der Realität in den Ermittlungsverfahren.“ (AFP, epd, dpa)

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